Kirchheim. Vier Treppen aus OSB-Platten mit je drei überdimensionierten Stufen ragen in grellem Rapsgelb aus den Arkaden des Kornhauses in die Fußgängerzone vor und laden zum Eintreten oder Hinsetzen ein. Sie sind so präzise gebaut, dass sich alle Stufen in exakt gleicher Höhe befinden, dabei aber die unregelmäßige und schräge Ebene des historischen Pflasterbodens ausgeglichen wird. Die großen Eingangsarkaden sind mit gelben Vorhängen aus Folienstreifen verhängt, auf denen „Städtische Galerie Kornhaus“ und das Signet „osa“ in Schwarz aufgedruckt sind.
Mit diesen Applikationen der Gruppe „osa_office for subversive architecture“ erhält das Kornhaus ein schrilles Display, das mit den Werbemaßnahmen der kommerziellen Wettbewerber in der Konsummeile Kirchheims durchaus mithalten kann. Vielen Passanten wird erst jetzt bewusst, dass hier ein Museum und der Ausstellungsraum der Städtischen Galerie allen Besuchern offen steht.
Wirklich offen steht dieses Mal jedoch nur der Raum der Passage vor der Galerie, der als merkwürdiger Hybrid zwischen halböffentlichem Ausstellungsraum und städtischem Außenraum existiert. Wer dann wie gewohnt durch die Glastüre in die Ausstellung möchte, wird enttäuscht: Der Innenraum der städtischen Galerie kann ausnahmsweise nicht betreten werden.
Er bleibt geschlossen, da er von der Gruppe aus Künstlern, Architekten und Stadtplanern zu einer einzigen Popcorn-Vitrine umfunktioniert wurde: Von außen ist Popcorn vom Boden bis unter die Decke in den Fenstern und hinter der Glastür zu sehen, und ganze Kaskaden der klebrigen Bröselei ergießen sich aus den Ritzen zwischen den Gebäudeteilen auf den Boden der Passage. Selbst die zahlreichen Nogushi-Lampen, die mit ihrer bekannten Kugelform aus Seidenpapier die Passage erleuchten, sind dicht mit Popcorn beklebt. Die Lichtinstallation in der Passage wird automatisch zusammen mit der Straßenbeleuchtung eingeschaltet, was den Arkadenraum wieder mit dem äußeren Stadtraum verbindet.
„Wir kümmern uns um den städtischen öffentlichen Raum, vor allem um vernachlässigte Räume“, sagt Britta Eiermann, eines der Mitglieder der Gruppe „office for subversive architecture“. Sie hat das Kirchheimer Projekt maßgeblich entwickelt und mithilfe des Kurators Florian van het Hekke, der Mitglied des Kunstbeirats ist, realisiert.
„Wir versuchen, den Raum zu dem zu machen, was der Raum schon immer sein wollte. Er soll für den Besucher damit zu einem persönlichen Forschungs- und Erkenntnisraum werden“, sagt Britta Eiermann.
Die Gruppe „osa“ ist eine freie Arbeitsgemeinschaft: Sie besteht aus acht Personen, die in England, Österreich und Deutschland leben. „Wir sind ein Netzwerk, physisch treffen wir uns fast nie“, sagt Britta Eiermann, die als Künstlerin, Architektin, Stadtplanerin und Szenografin tätig ist. Konzepte und Projekte der Gruppe werden im Internet entwickelt und über Skype kommuniziert. Es gibt kein Büro, persönlich trifft man sich höchstens mal an Raststätten oder in Kantinen. Die Arbeiten sind Experimente, es ist nichts vorgefertigt, das Büro arbeitet „kommerzfrei“.
In der Kornhausgalerie werden bisherige Projekte auf zwei der Schaufensterscheiben projiziert, und zwar rund um die Uhr, ohne Ton. Bei einem der gezeigten Beispiele hat die Gruppe eine Fußgängerunterführung zu einer Dreizimmerwohnung umgestaltet, im Eingang gab es einen Fußabtreter, der auch häufig von den überraschten Passanten benutzt wurde.
Die Atmosphäre des Kornhauses wird mit der Installation „Storytelling“ deutlich verändert und als zeichenhaftes Objekt in der Stadt hervorgehoben. Es ist nur konsequent, wenn auch der Messingschriftzug außen am Gebäude – eine Jackson-Typografie der Sechziger- oder Siebzigerjahre – mit einem „update“ versehen wird und mit drei gelben Lettern zu „POP KORN HAUS“ mutiert.
Zur Eröffnungsveranstaltung wurde die Passage mit einer Bar ausgestattet und damit zu einem etwas skurrilen Partyraum verwandelt. Man konnte mit frisch gebrautem Bier und zu plätschernder Musik den spätsommerlichen Abend genießen.
„Hier findet etwas ganz Neues für die Stadt Kirchheim statt“, sagte Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker in ihrer Begrüßung. „Das machen wir“, habe sie gesagt, als Florian van het Hekke die ersten Entwürfe vorgestellt habe und die rechtlichen Voraussetzungen geklärt waren.
Im Einführungsgespräch, das von Beiratsmitglied Susanne Jakob moderiert wurde, dankte Britta Eiermann vor allem den zahlreichen Helfern und Fachleuten, die alle Holzkonstruktionen und die elektrische Infrastruktur des Projekts bewerkstelligt hatten. „Es geht um den Umgang mit dem Gebäude, egal wie es benutzt wird oder ob es jemand kaputt macht. Der Umgang ist wichtig, aber er ist unvorhersehbar“, führte Eiermann weiter aus.
Der Umgang mit öffentlichem Raum ist generell vielfältiger, als erwartet: Die Arkaden vor der Städtischen Galerie sind traditionell Aufenthaltsort für Kirchheimer Jugendliche. „Hier sind wir öfter, sonst kann man ja nirgendwo sitzen in Kirchheim“, sagt ein junger Mann im Gespräch. Auf die Frage, ob er sich vom Kunstpublikum gestört fühle, antwortet er: „Find ich nicht so toll, dass plötzlich die ganzen Leute hier sind, aber ich bin loyal.“