Nürtingen/Stuttgart. Zwei von insgesamt 33 Zeugen erheben schwere Vorwürfe gegen die neun Angeklagten, die bei der Nürtinger Musiknacht am 8. Mai vergangenen Jahres mehrere Gäste schwer verletzt haben sollen. Die Verteidiger der angeklagten jungen Männer jedoch zweifeln die Aussagen der Belastungszeugen nun ernsthaft an.
„Ich bin stiften gegangen, weil mir das Ganze viel zu gefährlich war“, sagte ein 23-Jähriger im Zeugenstand. Durch herumfliegende Flaschen und Schläge mit Fäusten sowie mit Stöcken sei er am Rücken erheblich verletzt worden. Er habe zudem mit ansehen müssen, wie ein Freund neben ihm schwer verletzt wurde: Ein vier bis fünf Zentimeter langer Riss an dessen Kopf habe im Krankenhaus genäht werden müssen. Seine eigene Schnittverletzung aber habe er angesichts des Blutbades in der Ambulanz lieber „kleben“ lassen. 14 Tage lang habe er noch Schmerzen gehabt. Bei Rückfragen durch die Verteidiger stellte sich gestern heraus, dass der Zeuge beim Stolpern verletzt wurde, nicht durch Schläge mit Stöcken.
Die Verteidiger sind in diesem Mammutverfahren sehr wachsam, verfolgen genau, was die Belastungszeugen bei ersten Vernehmungen der Polizei gesagt haben und was sie jetzt in Stuttgarter Zeugenstand von sich geben. Da gebe es große Unterschiede, stellen die Anwälte fest. Und auch die Vorsitzende Richterin der Stuttgarter Schwurgerichtskammer stellte gestern klar, dass man sich bei der juristischen Aufarbeitung der Vorgänge anlässlich der Nürtinger Musiknacht derzeit ausschließlich auf die Zeugenaussagen beschränken müsse, weil die Angeklagten schwiegen. Und die Zeugen müssten die Wahrheit sagen, um herauszufinden, was wirklich geschehen sei: „Wir sind auf diese Zeugen angewiesen!“
Auch die gestrige Aussage eines 24-jährigen Mannes im Zeugenstand zweifelten die Verteidiger erheblich an. Er berichtete, was am 8. Mai in den 30 Sekunden kurz vor Mitternacht in der Nürtinger Bahnhofstraße geschah: Wie eine Mauer und keilförmig seien die Angeklagten die Straße entlang gestürmt, etwa 10 bis 15 Leute, „mit schwarzen Kapuzen maskiert, schwarz gekleidet, mit schwarzen Stiefeln und Bomberjacken . . .“ Die Flaschen, die sie warfen, seien sehr tief und flach geflogen, „Auf Kopfhöhe der Gäste“. Einer der Angreifer habe seinen neben ihm stehenden Freund mit einer Eisenstange getroffen. Der Freund sei bewusstlos geworden.
Der Zeuge weiter: „Ich sah einige der Männer mit etwa 40 Zentimeter langen Schlagstöcken in den Händen“. Sein verletzter Freund sei von einem Rettungsteam mit Krankenwagen abtransportiert worden. Der Zeuge selbst, der nach seiner Aussage „gerade einen Döner bei einem Stand in der Bahnhofstraße bestellt hatte“, sah neben seinem rechten Fuß eine Flasche explodieren. „Ja, da flogen viele Flaschen durch die Luft“, ergänzte er diese Aussage. Teilweise seien es sogar volle Bierflaschen gewesen. Der Angriff der schwarz Gekleideten sei ganz gezielt gewesen, sagt er: „Da herrschte einfach Gewalt“.
Als er aber von einem der Verteidiger gefragt wurde, ob er nicht bisherige Zeitungsberichte und Erzählungen von Freunden mit seinem selbst Erlebten vermische, wurde der 24-Jährige etwas kleinlaut: „Ja, das kann stimmen“, sagt er. Die Sache mit den angeblich gesehenen Schlagstöcken habe der Zeuge nämlich bei ersten polizeilichen Vernehmungen gar nicht erwähnt, gab die Verteidigung zu bedenken. Das, so der Zeuge, sei ihm erst jetzt vor Gericht eingefallen. Die Anwälte bezweifeln dies ebenfalls.
Noch keine Erkenntnisse gibt es hingegen dazu, inwieweit die Schwurgerichtskammer aus den Reihen der Angeklagten Geständnisse erwarten kann und damit das Verfahren abgekürzt werden könnte. Immerhin lautet der Vorwurf auf gemeinschaftlichen versuchten Mord und Landfriedensbruch. Der richterliche Hinweis, dass bei Geständnissen jeweils Strafrabatte gewährt werden, scheint bei den neun Angeklagten noch nicht angekommen zu sein. Die Verhandlung geht am Freitag weiter.