Sommelière ist nicht gerade ein Ausbildungsberuf von der Stange. Lieben Sie Wein?
LEIBSSLE: Absolut! Wein ist für mich Genuss, einfach Lebensfreude pur. – Natürlich in Maßen genossen, das gilt ja bei allen besonderen Dingen. Ein richtig feines Essen ist ohne die Begleitung von Wein für mich gar nicht denkbar. Aber egal, ob zum Essen oder pur am Kamin – Weingenuss ist immer am schönsten in guter Gesellschaft.
Sie sind heute 35. Als Sie Ihren Beruf erlernt haben, waren Sie gerade mal Anfang 20 . . .
LEIBSSLE: . . . ja und damit beileibe nicht die Jüngste an der Weinschule in Koblenz. Der Weingenuss hat in den letzten 15 Jahren eine ungeheure Wandlung vollzogen. Es gibt viele junge, bestens ausgebildete und experimentierfreudige Winzer und Önologen. Genossen wird Wein mittlerweile von Frauen und Männern fast aller Altersstufen. Zu meinen Seminaren kommen auch 24-Jährige, meist super informiert. Früher war der typische Kunde der graumelierte Herr.
Wurde Ihnen die Liebe zum Wein in die Wiege gelegt?
LEIBSSLE: Nein. Das erste Glas ist nie toll. Aber man wächst hinein. Bei mir war das ein Prozess, der sich über zwei Jahre hinzog. Ursprünglich habe ich Restaurantfachfrau gelernt und war eine Zeit lang in der Gastronomie tätig. Im Laufe der Zeit habe ich mich dann immer mehr dem Wein zugewandt. Sobald die Leidenschaft einmal geweckt ist, entwickelt man sich weiter. Vieles nehme ich heute anders wahr als früher. Das Leben wird eben immer interessanter, je älter man wird, auch in punkto Wein. Der Gaumen wird geschult, beim Essen wie auch beim Wein. Die wenigsten Weintrinker legen sich heute auf einen Wein fest, selbst die Frage, ob rot oder weiß, hat eher etwas mit den Jahreszeiten zu tun als mit der Person.
Und was ist mit Trends?
LEIBSSLE: Die gibt‘s beim Weingeschmack natürlich ebenso wie bei der Mode. Bis vor Kurzem herrschte hierzulande der Chardonnay-Trend vor. Auch der Prosecco hat sich plötzlich absolut durchgesetzt und mittlerweile vielerorts Sekt und Champagner verdrängt. Zwischenzeitlich wurde die einstige Traubenbezeichnung strikt auf die Herkunftsregion beschränkt, um das Produkt zu schützen. Eine beständige Erscheinung ist, dass wir hier in Süddeutschland ziemlich italienverhaftet sind. Den Pino Grigio hat jeder Italiener im offenen Ausschank, den trinken wir auch zu Hause gern.
Wir trinken aber auch den einst verpönten Württemberger heute mit Selbstbewusstsein.
LEIBSSLE: Ja, Württemberger hat sich in den letzten Jahren vom Aschenputtel zum Shootingstar gewandelt. Früher sagten viele „hiesigen Wein kannst du nicht trinken“ – und sie hatten sogar recht damit.
Dafür gerät so manches vertraute Produkt plötzlich ins Abseits.
LEIBSSLE: Der fränkische Bocksbeutel ist ein Beispiel dafür. – Ihn zu bewerben, ist mir eine absolute Herzensangelegenheit!
Haben Sie als Fachfrau nicht doch einen persönlichen Lieblingswein?
LEIBSSLE: Ich mag mineralisch ausdrucksvolle Weißweine, das kann ein Riesling sein oder ein Grauburgunder. Im Winter darf‘s aber auch mal ein gehaltvoller Barriquewein sein.
Gab‘s auch Fehlentwicklungen in Sachen Wein in jüngster Vergangenheit?
LEIBSSLE: Grundsätzlich gilt: Die Entwicklung ist einfach genial, es gibt immer bessere Weine. Furchtbar finde ich entalkoholisierte Weine. Alkohol ist nun mal ein Geschmacksträger, ohne den geht nichts. Dabei muss ich einräumen, dass es mich manchmal sogar richtig stört, dass Wein Alkohol enthält. Nicht selten würde ich nämlich gern mehr von einem tollen Wein trinken – aber das geht halt nicht.
Dieses „Problem“ nennen Frauen in größerer Zahl als Männer.
LEIBSSLE: Ja, aber auf der anderen Seite werden Frauen als Kunden immer wichtiger. Früher hatten sie es schwer, ernst genommen zu werden. Mittlerweile habe ich schon Weinseminare speziell für Frauen abgehalten. Aber natürlich sind sie auch in den normalen Seminaren dabei und oft in der Überzahl.
Was interessiert die Seminarteilnehmer am meisten?
LEIBSSLE: Der Klassiker ist „Wein und Käse“. Aber so ein Seminar ist nie gleich, es verändert sich über die Jahre. Ich lerne stetig selbst dazu, auch über Käseproduktion. Beim Wein liegen mir die biologisch-biodynamischen Produkte mehr und mehr am Herzen, wobei natürlich auch viele konventionelle Winzer nachhaltigen Anbau betreiben. Auf jeden Fall freue ich mich, wenn ich in Seminaren Menschen etwas von meiner Philosophie mitgeben und vielleicht für Impulse sorgen kann. Auch das macht für mich einen Teil meiner Lebensfreude aus.