Nürtingen. Bei Familie Fischer aus Kirchheim ist seit dieser Nacht nichts mehr, wie es war. Seit ein paar Stunden sind Elena Fischer und ihr Mann Viktor Eltern eines gesunden Jungen. Die Erschöpfung ist den beiden nach der 26-Stunden-Geburt deutlich anzusehen, aber auch der Stolz, als Projufa-Koordinatorin Ingrid Hosp-Mack zur Geburt des kleinen Leonhard gratuliert.
Einmal wöchentlich drehen die Projufa-Teams aus Nürtingen und Kirchheim ihre Runden auf der Mutter-Kind-Station der Klinik Nürtingen. Sie verteilen Informationsflyer über ihre Arbeit und laden zu den offenen Elterntreffs ein, bei denen Eltern Tipps von Familienhebammen bekommen können. „Wenn Sie Fragen haben, weil ihr Baby viel schreit oder Blähungen hat, sind wir für Sie da“, sagt Ingrid Hosp-Mack. Im Gespräch mit den Fischers erfährt die Projufa-Mitarbeiterin ganz nebenbei einiges über die familiäre Situation. Zum Beispiel, dass der Vater zwei Monate Elternzeit genommen hat, um seine Frau zu unterstützen, und dass es eine Oma gibt, die die dreijährige Tochter momentan betreut. Schnell wird klar: Die Fischers werden das Kind schon schaukeln. Akuten Hilfebedarf scheint es nicht zu geben.
Ingrid Hosp-Mack und ihre Kollegin Sabine Stoll, die Projufa in Kirchheim koordiniert, wissen, dass sich das noch ändern kann. „Häufig sind es ganz gewöhnliche Probleme, die so gut wie alle Eltern betreffen“, sagt Sabine Stoll. „Zum Beispiel, wenn das Kind in die Trotzphase kommt und seinen eigenen Willen entwickelt. Oder wenn ein Geschwisterchen geboren wird und das erste Kind eifersüchtig reagiert. Dann packen die Eltern den Flyer aus, den sie nach der Geburt bekommen haben, und rufen an.“ Auch wenn das Baby viel weint, schlecht schläft, nicht essen will oder sehr ängstlich ist, kommen Eltern manchmal an ihre Grenzen. Für alle diese Fälle hat Projufa, das beim Amt für Soziale Dienste und Psychologische Beratung im Esslinger Landratsamt angesiedelt ist, passgenaue Angebote im Programm.
Während Familie Fischer die ersten Stunden mit ihrem kleinen Sohn genießt, gibt es Familien, bei denen die Geburt eines Kindes große Ängste und Nöte auslöst. Dann fordern Stationsleiterin Marietta Chabowsky und ihre Kolleginnen auch außerhalb der regulären Rundgänge Unterstützung von Projufa an. „Die meisten sagen nicht offen: Ich brauche Hilfe“, weiß Marietta Chabowsky aus Erfahrung. Meistens ergebe sich das durch Nachfragen. Oder wenn der Kinderkrankenschwester oder der Hebamme auffällt, dass die Eltern im Umgang mit dem Kind sehr unsicher sind. In solchen Fällen kommt sofort ein Projufa-Mitarbeiter in die Klinik. „In der Zeit nach der Geburt sind die Eltern häufig am offensten. Diese Zeit müssen wir nutzen“, sagt Sabine Stoll.
Marietta Chabowsky weiß, dass längst nicht nur junge Mütter oder Frauen mit geringer Bildung nach der Geburt eines Kindes überfordert sind. „Das zieht sich durch alle Altersgruppen und Schichten“, sagt sie. Häufig seien es gerade die älteren Mütter, die bisher wenig Umgang mit Kindern gehabt hätten. „Oder Akademikerinnen, die vor der Geburt zu viele Ratgeber gelesen haben. Und dann will das Kind einfach nicht ins Raster passen“, ergänzt Ingrid Hosp-Mack. Teilweise hätten die Mütter schlicht zu hohe Ansprüche an sich selbst, sagt Sabine Stoll. Es seien übrigens keinesfalls nur alleinerziehende Frauen, die Hilfe bräuchten, sondern auch viele verheiratete. „Auch zu zweit kann man sehr allein sein“, sagt Marietta Chabowsky.
Sind die Projufa-Mitarbeiterinnen vor Ort, besprechen sie mit den Müttern, welche Art von Hilfe sie brauchen. Ganz wichtig ist: Aufgezwungen wird nichts. „Wenn die Frauen keine Hilfe wollen, sind wir raus“, sagt Ingrid Hosp-Mack. Zuerst wird meistens geschaut, ob die Frauen eine Hebamme haben, die sie im Wochenbett betreut. Sabine Stoll weiß, dass das häufig nicht der Fall ist, weil die Frauen nicht wussten, dass man sich frühzeitig um eine Hebamme bemühen muss. Viele hätten auch schlicht keine Energie. „In so einem Fall kann es sehr beruhigend sein, dass über die erweiterte Geburtennachsorge bis zu einem halben Jahr eine Familienhebamme kommen kann“, sagt Ingrid-Hosp Mack.
Häufig reiche es den Müttern aber auch schon, zu wissen, dass es eine Telefonnummer gibt, die sie jederzeit anrufen können. Oder dass ihnen jemand hilft, den Kindergeldantrag auszufüllen. Gerne vereinbaren die Projufa-Mitarbeiterinnen auch einen Termin bei den Familien zu Hause. Eine Hilfsmaßnahme, die dort stattfindet, ist die Entwicklungspsychologische Beratung. Sie richtet sich an Eltern, die sich im Umgang mit dem Kind unsicher fühlen, Schwierigkeiten beim Füttern haben oder schlicht überfordert sind, weil das Kind viel schreit und nicht schlafen will. Mithilfe von Gesprächen oder kurzen Videoaufnahmen lernen die Eltern, die Signale und Bedürfnisse ihres Kindes besser zu verstehen. „Wichtig ist, dass man in diesen Situationen darauf schaut, was gut läuft“, sagt Ingrid Hosp-Mack. Auf diese Weise lösten sich Probleme häufig wie von selbst.
Die Projufa-Mitarbeiterin ist froh darüber, dass sie und ihr Team regelmäßig ihre Runden auf der Geburtsstation drehen dürfen. „Ohne die Offenheit der Klinik wäre das nicht möglich“, sagt sie. Für Stationsleiterin Marietta Chabowsky ist wiederum die Unterstützung durch Projufa eine große Entlastung. „Es ist toll, zu wissen, dass jemand da ist. Wir entlassen die Frauen nicht in dieses Nirvana“, sagt sie.