Wie sich Menschen auf den Ruhestand vorbereiten: Heute KJR-Geschäftsführer Kurt Spätling
Wenn kein Zug mehr vorbeirauscht

Wendlingen. Was tut Kurt Spätling, 64, wenn er die roten Regio-Expresszüge nicht mehr an seinem Fenster im Wendlinger Bahnhof vorbeirauschen hört? Wenn weder der Wecker noch das Telefon nervtötend klingelt, keine Vollversammlung oder Mitarbeiterbesprechung mehr zu


leiten ist und die Pressevertreter nicht mehr um seinen Tisch sitzen? Nein, Kurt Spätling ist weder Bahnhofschef noch schwerhörig. Der Geschäftsführer des Kreisjugendrings Esslingen (KJR) mit Sitz im Bahnhof der Stadt zwischen Neckar und Alb bereitet sich auf seinen beruflichen Abgang im kommenden Frühjahr vor.

„Angst vor dem Ruhestand? Die hab ich nicht“, wischt der umtriebige Geschäftsführer die Bedenken vom Tisch, nach der Schlüsselabgabe in das berühmt-berüchtigte schwarze Loch zu fallen. Zwar kann er noch nicht genau sagen, wo‘s in seiner dritten Lebensphase langgehen soll. Doch Kurt Spätling wäre nicht studierter Sozialpädagoge und langjähriger Praxisberater, hätte er sich nicht rechtzeitig gründlich mit dem Thema auseinandergesetzt. „Der Hammer“ – Eckart Hammer – ist ein Begriff in der Männerwelt. Gerontologie-Professor an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, Dr., Diplom-Sozialpädagoge und Sozialwissenschaftler. Und Buch-Autor: „Männer altern anders – eine Gebrauchsanweisung“ und „Das beste kommt noch – Männer im Unruhestand“.

Kurt Spätling kennt sie beide. Ein väterlicher Freund, mit dem er über die Tücken des Ruhestands sprach, hatte ihn auf den 58-jährigen Gerontologie-Professor aus Reutlingen aufmerksam gemacht.

Klar ist für den KJR-Geschäftsführer, dass er „den Cut“ machen wird. Eine saubere Trennung zwischen zweiter und dritter Lebensphase. Er will gleich nach seiner Verabschiedung im April sein Englisch auffrischen, und um die für ihn weißen Flecken im Landkreis und auf der Schwäbischen Alb zu erkunden, würde er auch eine Wanderkarte zur Hand nehmen. Der Osten der Republik reizt ihn ebenfalls. Zum Beispiel ein Besuch der Klassiker-Stadt Weimar.

Doch über allem steht sein Ruhestands-Motto „entschleunige den Alltag“. Dazu gehört, dass er auf seinen motorisierten Untersatz verzichtet und sich stattdessen ein E-Bike zulegen will. Beim Einlegen des langsamen Ganges kommt ihm zugute, dass er in Unterensingen nicht aus der Welt ist: „Wir haben direkt vor dem Haus eine Bushaltestelle.“

Backen und kochen, aber auch bügeln, das könnte sich der Geschäftsführer im Ruhestand gut vorstellen. Da seine Frau noch einige Jahre als Erzieherin arbeiten wird, wenn er bereits zu Hause ist, fände er nichts dabei, in die Rolle eines Hausmanns zu schlüpfen. Bereits in der Vergangenheit hat er Sommerlager für Sommerlager in Obersteinbach seiner heimlichen Leidenschaft gefrönt und für Hunderte Kids gekocht.

Kurt Spätling, in dessen Ära sich der Dachverband der Jugendorganisationen im Kreis zum pädagogischen Dienstleister wandelte, ohne die offene Jugendarbeit zu vernachlässigen, ist niemand, der an Stühlen und Ämtern klebt. Es macht ihn auch nicht kribbelig, im Ruhestand nicht mehr die persönliche Bedeutung zu besitzen und die berufliche Anerkennung zu genießen, die er jetzt hat und bekommt. „Ich empfind mich nicht als wichtig“, meint der 64-Jährige, der aus einem Arbeiterhaushalt stammt und hohe Achtung vor körperlich arbeitenden Menschen hat.

„Dass ich studieren konnte, war für mich ein Privileg.“ Ebenso bevorzugt fühlt er sich, sein Hobby, die Jugendarbeit, als Beruf ausüben zu können. Sein Berufswunsch sei zwar nicht „Geschäftsführer“ gewesen – „das hat sich so ergeben“ –, trotz manchen Ärgers habe er sich aber sehr privilegiert, weil nicht so fremdbestimmt, empfunden.

Freilich will Kurt Spätling nicht ausschließen, sich im Ruhestand wieder in Gremien zu engagieren. Doch das wird er in der gebotenen Ruhe angehen und sich dazu ein halbes bis ein Jahr Zeit einräumen. Bereits als KJR-Geschäftsführer hatte er drei Jahre lang ehrenamtlich den Vorsitz des Vereins für Körperbehinderte Esslingen inne. Außerdem arbeitet er im Unterensinger Genossenschaftsladen mit und ist ebenso Genosse bei der TAZ.

So sieht er den Ruhestand nicht als schwieriges Terrain mit heimtückischen Tretminen. Er hat sich rechtzeitig Gedanken gemacht und weiß, dass eine vierte Lebensphase erneut ein Umdenken erfordert. Eine Alters-WG will er deshalb für später nicht ausschließen. „Aber im Moment ist das keine Option.“ Viel wichtiger ist es ihm, soziale Kontakte nicht versanden zu lassen und alte Freundschaften zu pflegen.

Vor allem beschäftigt ihn immer wieder die Frage „Was brauch‘ ich wirklich im Alter?“ Kurt Spätling gibt sich selbst die Antwort: „Ich glaube, es ist gar nicht so viel.“