Kirchheim. Wenn in kalten Nächten der Polizeihubschrauber kreist, geht es meist um die Suche nach Vermissten. Oft sind es ältere Menschen, die verwirrt und hilflos sind. Für die Polizei gehören aufwendige Suchaktionen nach vermissten Menschen, die an Demenz erkrankt sind, mittlerweile zum Alltag. „Die Anzahl der Fälle hat in den vergangenen Jahren zugenommen“, schildert Matthias Bellmer die Wahrnehmung der Polizeidirektion Esslingen. Genaue Zahlen kann der Pressesprecher nicht nennen, denn die Gruppe der Vermissten mit Demenzerkrankung wird nicht separat statistisch erfasst.
Fakt ist jedoch: Sobald ein Mensch mit Demenz als vermisst gemeldet wird, startet die Suchmaschinerie. „Wir suchen das Wohnobjekt und die nähere Umgebung ab, fragen Hinwendungsorte ab und machen uns im Umkreis schlau – eben alles, was man mit einfachen Mitteln tun kann“, sagt Matthias Bellmer. Wie groß die Suchaktion angelegt wird, wenn all diese Maßnahmen erfolglos bleiben, hängt stark vom Wetter ab. „Wenn es warm ist, suchen wir in der Regel erst mal am Boden“, so Bellmer. Ist es kalt oder gibt es gar Schnee und Frost, kommt die Hubschrauberstaffel zum Zug. Mit Wärmebildkameras ausgerüstet, kreisen die Helikopter dann übers Land und grasen die Umgebung nach den oftmals viel zu leicht bekleideten Verschwundenen ab, um sie noch lebend zu finden.
Bei der Suche nach vermissten Demenzkranken zum Einsatz kommt auch die DRK-Rettungshundestaffel. Staffelleiter Martin Schatzinger hat allerdings nicht den Eindruck, dass Menschen und Hunde öfter als früher nach verwirrten Senioren suchen. „Gegeben hat es das auch schon vor zehn Jahren, allerdings hat man da nicht so viel drüber gesprochen“, glaubt er. Auch in der Statistik der Rettungshundestaffel wird nicht aufgeschlüsselt, um welche Art von Vermissten es sich handelt. „Da gehören verwirrte Personen genauso dazu wie suizidgefährdete Menschen oder Unfallopfer unter Schock.“
Abgenommen hat laut Martin Schäfer die Zahl der Demenzkranken, die aus Heimen verschwinden. „Früher hatten wir das häufig, dass ein Bewohner plötzlich nicht mehr da war“, sagt der Leiter der Regionaldirektion Stuttgart der Evangelischen Heimstiftung, die das Haus an der Teck in Dettingen und das Haus im Lenninger Tal betreibt. Diese positive Entwicklung liege vor allem an den geänderten Rahmenbedingungen. So sei das Personal besser im Umgang mit Demenz geschult. Zudem gebe es häufig spezielle Demenzbereiche. In Dettingen etwa haben die Patienten die Möglichkeit, sich in einem beschützten Garten frei zu bewegen.
Immer wieder taucht auch die Frage danach auf, wer die Kosten für die Suchaktionen trägt. Besonders wenn ein Hubschrauber zum Einsatz kommt, wird es schnell teuer. Für Polizei-Pressesprecher Matthias Bellmer ist die Sache klar: „In der Regel kann da keiner was dafür. Wir stellen dann keine Rechnungen aus, sondern die Staatskasse zahlt.“
Das bestätigt Andreas Kenner, Mitarbeiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes für alte Menschen
(SOFA) im Landkreis Esslingen. SOFA betreut Senioren mit psychischen Erkrankungen, die noch zu Hause wohnen. „Bis jetzt hat meines Wissens noch niemand eine Rechnung gekriegt“, sagt Kenner. Auch habe die Polizei, mit der SOFA in kontinuierlichem Dialog stehe, ihre Briefe angepasst, die sie nach einer Suchaktion an die Patienten und ihre Angehörigen schicke. Dahinter stehe die Einsicht, dass man Demenzkranke nicht 24 Stunden am Tag lückenlos betreuen könne. Oft genüge eine Minute Unaufmerksamkeit der Aufsichtsperson, ein Gang zur Toilette, eine nicht abgeschlossene Tür, um einen Demenzpatienten aus den Augen zu verlieren. „Das geht manchmal so schnell – so schnell kann man gar nicht gucken“, weiß der gelernte Altenpfleger aus Erfahrung.
Dass für ein solches gesamtgesellschaftliches Problem auch die Gesellschaft bezahlt und nicht ein Einzelner, ist für ihn die logische Konsequenz. „Wir müssen ja auch für andere Polizeieinsätze zahlen“, sagt Kenner und nennt die Demonstrationen rund um Stuttgart 21.
Aber auch auf einer ganz anderen Ebene als der finanziellen ist die Demenz aus Andreas Kenners Sicht das Problem und die Aufgabe aller. „Eine Lösung wäre es, offener mit der Erkrankung Angehöriger umzugehen“, glaubt er. So sollte etwa die pflegende Ehefrau unbedingt Freunde und Bekannte, aber auch Gastwirte und Einzelhändler, die der Patient noch aufsucht, einweihen und mit ins Boot nehmen. Angehörige sollten auch keine Hemmungen haben, mal einen Fremden darum zu bitten, kurz ein Auge auf den Patienten zu haben. „So könnten sich wahrscheinlich viele Suchaktionen vermeiden lassen“, glaubt Kenner. Menschen mit leichteren demenziellen Erkrankungen einzusperren oder festzuhalten, hält er für falsch. Ihnen müsse man ein gewisses Maß an Freiheit und Eigenständigkeit einräumen – auch auf die Gefahr hin, dass sie sich mal verirren.
Gleichzeitig appelliert Andreas Kenner an alle, aufmerksam zu sein und ältere Menschen, die verwirrt oder orientierungslos erscheinen, anzusprechen. Dann gelte es, den Menschen an die Hand zu nehmen und ihm zu helfen.