Dauerbaustelle statt Reisezentrum sorgt für Unmut unter Kirchheims Bahnkunden
„Wer hier ankommt, ist brüskiert“

Stammkunden sind verstimmt, Tagesausflügler vor den Kopf gestoßen: Der Kirchheimer Bahnhof präsentiert sich alles andere als einladend.

„Wer hier ankommt, ist brüskiert“
„Wer hier ankommt, ist brüskiert“

Kirchheim. „Das ist ein Trauerspiel“, winkt Bürgermeister Günter Riemer ab, sobald es um das Bahnhofsgebäude in Kirchheim geht. Selbiges befindet sich im Eigentum der Deutschen Bahn und entzieht sich somit weitgehend der Einflussnahme der Stadt. Derzeit tut sich gar nichts im Bahnhofsgebäude. Das bringt Verwaltungsspitze und Ratsrund in Rage, denn ein Bahnhof ist eine Art Visitenkarte der Stadt. Dazu kommt,

d

ass Kirchheim in der Region derzeit ziemlich erfolgreich als Ausflugsziel am neuen S-Bahn-Endpunkt beworben wird.

Ein besonderes Ärgernis ist der Fahrkartenautomat. Komplizierte Bedienung und lange Warteschlangen bringen die Kundschaft auf. Ein Stadtrat räumte in jüngster Ratssitzung wortreich ein, in der Not eben schwarz gefahren zu sein. Eine Alternative zum Automaten gibt es schon seit mehreren Monaten nicht mehr. „Der Fahrkartenverkauf war einmal an einen Dienstleister verpachtet“, berichtet der Bürgermeister. Nach der Schließung Anfang Mai wurden Umbaumaßnahmen angekündigt. Die Wiedereröffnung als „Reisezentrum“ war Anfang September ge-plant, dann Mitte Oktober. Gestern teilte auf Nachfrage des Teckboten ein Pressesprecher der Bahn in Stuttgart mit, dass der einstige Schalter ab Mitte Dezember in Eigenregie der Bahn wieder in Betrieb gehen soll.

Doch derzeit wächst der Unmut weiter: „In Kirchheim herrscht der Notstand“, ärgert sich beispielsweise Hans Binder. Als eingefleischter Bahnfahrer holte er früher am Kirchheimer Bahnhof stets seine Verbundpassmarken und nahm auch hin und wieder hilfreiche fachliche Tipps in Anspruch. „Für manche Spezialangebote der Bahn braucht man einfach Beratung“

, betont er und verweist auf viele ältere Kunden, die mit den Automaten nicht klar kämen. Immer wieder sorge neue Software für zusätzliche Verwirrung.

Wenn Hans Binder jetzt eine besondere Fahrkarte braucht, fährt er nach Wendlingen – mit dem Auto. Das kann kein Dauerzustand sein. „Kirchheim braucht dringend wieder einen Schalter“, fordert er und erwähnt die Zahl der Fremden, die seit Eröffnung der S-Bahn spürbar zugenommen habe: „Wer hier ankommt, ist erst einmal brüskiert.“

Auch die Stadt würde ihre Gäste, gern herzlicher empfangen. „Kaffee und Snacks wären das Mindeste, das es geben müsste, meint Bürgermeister Riemer. Das ist derzeit nur der Fall, wenn die Kneipe offen hat – dann kann man auch auf die Toilette gehen. Wer nichts konsumiert, zahlt für diesen Service. „Diese Situation ist untragbar“, schimpft so manch ein Gast. Schließlich muss man noch ein gutes Stück Wegstrecke zurücklegen, bevor man das Schmuckkästchen Innenstadt erreicht. Ansonsten gibt es nur einen kleinen Zeitschriftenladen. Der Betreiber ist Pächter der Bahn und würde gern auch Backwaren verkaufen. Die Kirchheimer Wirtschaftsförderung soll vermitteln. Auf die Erfolge darf man gespannt sein.

Zukunftsmusik ist momentan auch die geplante Fahrradstation. „Das ist eine Einrichtung, die im Alltag sehr nützlich sein kann“, erläutert Riemer. Die Idee ist, dass über eine karitative Einrichtung schwer vermittelbare Menschen beschäftigt werden, die dort Räder reparieren und auf Vordermann bringen. Derartige Stationen bewähren sich bereits mehrfach in der Region, etwa in Ludwigsburg. Dass auch in Kirchheim Bedarf vorhanden wäre, lässt der stets volle Radständer am Bahnhof vermuten. Fragt sich nur, wohin mit der Station. Derzeit wird mit der Bahn über das Gebäude zwischen Bahnhof und Güterhalle verhandelt.