Kreis. „Tradition als Herausforderung“ – unter diesem Titel bringt der Linsenhofener Historiker, Lehrer und Essayist Steffen Seischab einen neuen Sammelband heraus, der sich dem industriellen Strukturwandel in den alten Oberämtern Kirchheim und Nürtingen widmet.
Historiker haben es zumeist nicht leicht. Schnell wirken sie mit ihrem rückblickend-dozierenden Habitus und der obligatorischen Brille besserwisserisch, wenn einer breiten Leserschaft erklärt wird, warum es nur genau so habe kommen können. Und eben nicht anders.
Dass künftige Entwicklungen jedoch offen sind und sich in der Gegenwart nicht mit letzter Gewissheit sagen lässt, was diese oder jene Entscheidung für Konsequenzen für die nächsten Generation haben wird – dies macht es mitunter schwierig oder gar riskant, eindeutig eine Position zu beziehen.
Im Nachhinein ist man immer schlauer, wie eine Redewendung besagt. Steffen Seischab geht der Frage dennoch nach, wenn er sensibel und ausgewogen analysiert, warum spezifische Unternehmen scheiterten und andere nicht. Ganz bewusst vermeidet er es dabei, Pfadabhängigkeiten und Kausalitäten zu konstruieren. Vielmehr zeigt Seischab Perspektiven und Handlungsräume auf.
Dass die Region reicht an traditionsreichen und ehrwürdigen Betrieben und Fabriken war, wird bei der Lektüre der Aufsätze schnell sichtbar. Allerdings haben nur wenige von diesen Unternehmen die vielfältigen ökonomischen Wandlungsprozesse erfolgreich überstanden. Die Firma Greiner aus Nürtingen, das arbeitet Steffen Seischab eindrucksvoll heraus, gehört zu diesen wenigen positiven Beispielen. Mit einer starken Flexibilität und gewiss auch der einen oder anderen Portion Glück gelang es den Eigentümern, das kork-verarbeitende Unternehmen des späten 19. Jahrhunderts zu einer innovativen Firma umzugestalten, die sich auf Schaumstoffe, Verpackungen und Medizintechnik fokussiert.
Industrieller Wandel in Kirchheim
Einen anderen Fokus wählt Teckboten-Redakteur Andreas Volz. Er nimmt das Verschwinden der alten Industriegelände im Westen der Kirchheimer Altstadt in den Blick, wo einstmals die Gleise der Bahntrasse die Vorstadt berührten. Dort standen sie noch vor wenigen Jahrzehnten, die großen Hallen und rauchenden Schlote der Kirchheimer Fabriken.
Unter ihren ragte Kolb & Schüle zweifelsfrei als das größte und älteste hervor. Und grade an diesem Beispiel erläutert der Autor kenntnisreich und anschaulich, welches Muster sich hinter der Veränderung des Stadtbilds verbirgt.
Vom Arbeiten in den Werkshallen über das Einkaufen auf dem EZA-Gelände hin zum Wohnen im Steingau-Quartier: In diesem Dreischritt wandelte sich die Topographie der Stadt nach 1945 maßgeblich – auch an vielen anderen Stellen.
Wer mehr über die Veränderungsprozesse der lokalen industriellen Welten erfahren möchte und dabei auch an einem Vergleich zwischen Kirchheim und Nürtingen interessiert ist, dem sei der neue Sammelband von Steffen Seischab wärmstens empfohlen. Erhältlich ist er im lokalen Buchhandel. Frank Bauer