Kirchheim. „Wie ticken Jugendliche?“ – Unter diesem Motto stand die Fachtagung des Kommunikationszentrums für interkulturelle Zusammenarbeit Kirchheim (KiZ) und des Dekanats Esslingen-Nürtingen in Zusammenarbeit mit der Sinus-Akademie. Unter Anleitung von Peter Martin Thomas, Diplom-Pädagoge und Leiter der Sinus-Akademie in Berlin, beschäftigten sich die rund 40 Teilnehmer bei Vortrag und Workshops mit den unterschiedlichen Lebenswelten bei Jugendlichen.
„Ein Jugendlicher jubelt dem Papst zu, während er in seinem Geldbeutel ein Kondom hat“, sagte Peter Martin Thomas in seinem Impulsreferat zu den Ergebnissen der Sinus-Jugendstudie. Dies spiegle die veränderte Wertewelt der Jugendlichen heutzutage wider. Immer häufiger „mixen“ sie traditionelle Werte wie Sicherheit mit hedonistischen Werten wie Spaß und Freiheit. „Veränderungen in der Umwelt bringen neue Schwierigkeiten und Probleme mit sich“, betonte Thomas. Die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich sowie die zunehmende Anzahl von Teilzeitbeschäftigungen und Leiharbeit, die zu Einkommensunsicherheiten führen, nannte er als Hauptgründe. Darüber hinaus beeinflusse der demografische Wandel – den Peter Martin Thomas scherzhaft als einen Wandel „von der Pyramide zum Döner“ beschrieb – den Alltag der Jugendlichen. Die multikulturelle Gesellschaft, die er am Beispiel der deutschen Fußballnationalmannschaft deutlich machte, spielt laut Thomas ebenfalls eine wichtige Rolle.
„Auswirkungen bringt auch der Leistungsdruck in der heutigen Gesellschaft mit sich“, betonte er. „Immer schneller soll der Bildungsweg durchlaufen werden, um möglichst früh in den Arbeitsmarkt eintreten zu können – und das bestens ausgebildet.“ Die Befragten seien der Meinung, dass der Wert eines Menschen nur nach Leistungskriterien gemessen wird. „Daraus resultiert Unsicherheit, ob das eigene Leistungsvermögen ausreicht.“ Trotzdem seien sich die Jugendlichen bewusst, dass eine gute Ausbildung wichtig ist. „Keiner möchte mit Hartz IV leben.“
„Soll ich Mediendesignerin oder Werbedesignerin werden?“ – Dieser Frage stehen ratlose Eltern immer häufiger gegenüber. Das Berufsangebot steigt. Vor allem durch den Einfluss der Technik entstehen neue Berufsfelder. Bei der Beratung sind Vater und Mutter zunehmend überfordert. So auch im Umgang mit neuen Techniken wie dem Internet. „1998 nutzten 6,6 Millionen das Internet, 2010 waren es bereits 49 Millionen Deutsche“, zeigte Peter Martin Thomas die Entwicklung auf. Eigenständigkeit rücke in den Vordergrund. Mit den Gefahren und Schwierigkeiten müssen Jugendliche selbst klarkommen. Dafür hat sich das Verhältnis zu den Eltern im Gegensatz zu früher entspannt. „Vater und Sohn kaufen im selben Laden ein“, so Thomas. „Das führt dazu, dass neue Wege zur Abgrenzung von den Eltern eingeschlagen werden müssen.“ Verstärkter Freiheitsdrang und Flucht in Jugendszenen seien Antworten darauf.
Sieben Lebenswelten lassen sich aus der Studie ableiten. Von der prekären Lebenswelt, in die Jugendliche mit schwierigen Startvoraussetzungen fallen, über die bürgerliche Mitte der angepassten, leistungsorientierten jungen Menschen bis zur expeditiven Lebenswelt der erfolgs- und lifestyle-orientierten Networker dienen sie der Beschreibung der Umwelt. Unterschieden werden die Lebenswelten außerdem durch Hobbys, Musikgeschmack, Familienbindung, Bildungs- und Politikinteresse und die Ausstattung der Kinderzimmer. „Adele, Casper, Cro, Bushido oder Rihanna. Durch den Musikgeschmack grenzen sich die Lebenswelten oft deutlich ab“, sagte Peter Martin Thomas. Ausschlaggebend ist auch die Frage, welchen Sinn das Leben hat, und ob Spaß, Partys, Bildung oder Kultur im Vordergrund stehen.
Wichtig ist Peter Martin Thomas, dass die aus der Studie abgeleiteten Lebenswelten keine Schubladen sein sollen, in die die Heranwachsenden gesteckt werden: „Jugendliche können nicht immer bestimmten Lebenswelten zugeordnet werden. Im Laufe des Aufwachsens wechselt die Zugehörigkeit immer wieder.“
INFO
Die Sinus-Akademie ist Teil des Sinus-Instituts, das sich auf psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung spezialisiert hat. Sie bietet Unternehmen und Verbänden Weiterbildungs- und Beratungsmöglichkeiten, um deren Arbeit auf Basis aktueller Markt- und Sozialforschung vorantreiben zu können. Im Auftrag unter anderem der Bundeszentrale für politische Bildung, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und des Südwestrundfunks führte das Institut die Sinus-Jugendstudie durch.