Bibliothek und Museum seit 20 Jahren im renovierten Oberlenninger Schlössle
Wie Phönix aus der AscheInfo

Lenningen. Erinnerungsjubel im und ums Schlössle – vor 20 Jahren eroberte sich der dreigeschossige, 400 Jahre alte Fachwerk-Giebelbau fein renoviert die Zukunft zurück.


Heuer gab es bereits ein Sommer- und ein Büchereifest sowie das Kindertheater vom „Löwen, der nicht lesen konnte“. Lesekundige können im Jubiläumsjahr einmal weiter zurückblättern im Geschichtsbuch der Gemeinde: Das Gedächtnis Papier macht’s möglich. Darauf geschrieben ist von den vergangenen Zeiten vom Schlössle und den Mühlrädern an der unteren Lauter. Der Prolog des „Erinnerungsspiels“ steht noch auf handgeschöpften Schreibblättern, meist sind es Ehe-, Erb- und Kaufverträge mit bedeutungsroten Siegeln.

In vergangene Epochen entführt auch die Fantasie: Mit Flauten, Fiedeln und Krummhörnern spielten die „Lenninger Spielleut“ den „Dantz- und Hupfauf“-Damen auf zu Renaissance-Tänzen. Stilvoll gewandet wollten sie jener Zeit der Schlössle-Landedlen huldigen, zusammen mit einem Schlössle-Freundeskreis. Dessen Gründung war vor drei Jahrzehnten.

Johann Georg Schilling von Can­statt – eine der alten Schreibweisen – hatte sich in den Jahren 1593 bis 1596 ein „Süzlein zu Oberlenningen“ auf der linken Anhöhe über der Lauter auf ehemals abgegangenen Burgen erbaut. Dieser württembergische Lehensmann lebte von den grundherrlichen Einkünften seiner umliegenden Hofgüter. Den Dreißigjährigen Krieg erlebte er nicht mehr. Urkundlich festgehalten ist der nachfolgende Freiherr des Schlössle: „Der edell, gestrenge und weise Junker Caspar Schillung von Candstatt, derzeiten zue Oberlenningen Kirchaimer Ampts wonhaft“. Dieser dritte Sohn des Johann Georg hatte in jenen Zeiten auch den Nutzen von den „umb gemachten Garten unnd einem dazugeherig Wüßlein und von den Visch und Vorellen Wasser im Linninger Thal“, dazu von dem „springenden Brunnen“ von der Schmaltalquelle. Dieser sei jedoch im Pestjahr 1637 versiegt. Seinen Nachfahren erging es immer weniger ergötzlich: Sie verkauften für hundert Dukaten ihre Schlossanteile an den Oberlenninger Amtmann und einen Müller. Der Glanz des Adels erlosch nach keinen hundert Jahren. Das Schillingsche Schloss freilich bot noch bis 1985 zahlreichen Generationen Wohnraum, insbesondere in Notzeiten nach den Kriegen. Die dort wohnenden Handwerkerfamilien der vergangenen Jahrhunderte hatten kein Geld für Umbauten im jeweiligen Baustil ihrer Zeit. So war das Gebäude für die Hausforschung ein „Glücksfall“, da die originale Bausubstanz recht gut erhalten war. Der letzte Besitzer, die Papierfabrik Scheufelen, verkaufte 1982 den historischen Bau an die Gemeinde. Altbürgermeister Gerhard Schneider kämpfte entschlossen und erfolgreich für die Renovierung des Ortsbilds prägenden Hauses, zusammen mit der Ersten Vorsitzenden des Freundeskreises, Edeltraud Cast. Jetzt hatten die Lenninger wahrlich Zündstoff, Gesprächsstoff wegen dieses „Millionengrabs“.

Im Obergeschoss des renovierten Fachwerkbaus befindet sich das Papier- und Buchkunstmuseum. Es ist auch ein „Wissensspeicher“, denn zahlreiche Objekte aus handgeschöpftem Papier erinnern an die handwerkliche vorindustrielle Papierherstellung: Bei dem „Erinnerungsspiel“ führt ein Szenenwechsel ins 18. Jahrhundert an die Lauter im unteren Dorf: Das klare Flüsschen hatte an seinen beiden Ursprungsorten Schlattstall und Gutenberg seit „urdenklichen Zeiten“ etliche Mühlräder gedreht. In Oberlenningen zählten die Chronisten zwei Mahlmühlen, eine Gips- und eine Sägmühle. Des Sägmüllers Bruder, der Isaac Keeber, Bürger und Müller zu Oberlenningen, erhielt im Januar 1769 „die gnädigste Concession auf seinem aigenen Grund sowohl eine PappierMühlen zu erbauen als auch die Lumpen in dem ganzen Kirchheimer Oberamt ersammeln zu dörfen, die zuvor dem Wießenstaiger Pappiermüller“ zugesprochen waren. Dafür musste er an das Oberamt Kirchheim Schreibpapier liefern, damals gemessen mit vier plus zehn Rieß. Ein Rieß waren 480 Bogen Papier. Mit zunehmenden Obrigkeitsverordnungen stieg der Papierbedarf der Kanzleien stärker an, als die Bevölkerung zerschlissenes Leinen in den Lumpensack steckte. Zu Georgi 1810 kamen aus Weilheim, den Oberämtern Kirchheim und Nürtingen knapp 25 000 „Lumpen Seclen“ in den Oberlenninger Lumpenschneider.

Inzwischen hatte ein Papierer aus einer „Kunst erfahrenen Pappiermüllerfamilie von Nieder-Ramstadt/Mühltal zu Heßen“, Johann Christian Illig, die Mühle seines Schwiegervaters übernommen. Er, Isaac Keeber, habe sie ganz allein ohne Beihilfe angeschafft. Das Inventar gewährt einen Blick in die stampfend dampfend klappernde Papiermühle, die er „ohnentgeltlich übergiebt mit allen Brettern, Stampflöchern, Bütten, dem Holländer, Lumppenscheider und allem Eisenwerck, samt Leimkessel und Pflöcken, auch Filtz und Haarstrick auf den Böden item die metallenen ZapfenKlötz unter den Hollander und Lumppenschneider“. Dies ist am 20. April 1773 besiegelt worden. Ein herzogliches Schreiben bestätigt den untadeligen Lebenswandel ohne Leibeigenschaft des Johann Christian Illig, von seinen Eltern mit 1 500 Gulden als Morgengabe ausgestattet. Nach der Nürnberger „löblichen Pappiermacher=Kunst Ordnung und Freyheiten“ ist der Oberlenninger Papiermüller ehelich und ehrlich, nach vierjähriger Lehrzeit bereit, dieses Handwerk für ein kunstreiches Werk zu achten. Dieses Handwerk ohne Zunftzwang und Lehrgeld war frei, konnte nach eigenen Regeln der Papierer ausgeübt werden. Es genoss hohes Ansehen, da es der ganzen Welt „nutzbahr und ersprießlich sei“. Die Papiermacherfamilien bildeten im ganzen Land ein Netzwerk.

Seit Gutenbergs Buchdruckerfindung ist Papier begehrt für die Vervielfältigung von Holzschnitten, Kupferstichen und Texten. Ohne Flugblätter hätte sich die Reformation kaum so rasch verwirklicht. Noch ist Papier der Stoff für die Verbreitung von Wissen und Bildung. Die örtliche Firmengeschichte von Keebers und Illigs Nach-Nachfolgern ab Mitte des 19. Jahrhunderts ist bekannt. Carl Scheufelen übernahm für 8 500 Gulden von seinem Schwager, dem Kirchheimer Seifensieder Jakob Gottlieb Beurlen, die damals veraltete Anlage. Seine unternehmerische Tatkraft für die moderne Beschaffung von Rohstoff, Energie und Maschinen ist ausführlich dokumentiert. Zukunftsprägend ist stets Resourcen-Geschichte. Mit der Entwicklung ­des ersten Kunstdruckpapiers in Deutsch­land 1892 im Hause Scheu­felen werden gute Bild-Reproduktionen möglich. Genau hundert Jahre später zieht die moderne Papier- ­und Buchkunst ins Oberlenninger Schlöss­le ein. Wie Phönix aus der Asche ist das alte Haus neu erwacht. Mit seinem hellen Gemäuer zwischen ochsenblutrotem Gebälk und den ockergelben Eckfensterblenden blickt es farbenfroh auf den Marktplatz hinunter. Es lockt kleine und große Leser in die Bücherei zu 20 000 Büchern, Märchenstunden, Bilderbuchkino, Bastelstunden, Puppentheater und – im Verbund mit dem Förderkreis Schlössle – zu Lesungen, Ausstellungen und Vorträgen. Gäste kommen aus nah und fern ins Museum zu den handgeschöpften Papierobjekten und Installationen, die an die Kunst der ehrbaren Papiermüller erinnern: Papier – ein schöpferischer Prozess. Als Dauerleihgabe der Firma Scheufelen kamen Werke von bekannten Künstlern in dieses kleine, feine Museum. Es zähle zu den Traditionen des Unternehmens, sich hier am Ort auch für die sozialen und kulturellen Belange der Bevölkerung zu engagieren, sagte Ulrich Scheufelen bei der Museumseinweihung am 28. November 1992. Seit 2010 ist die Kunstsammlung im Besitz des Förderkreises; die Gemeinde Lenningen ist weiterhin Betreiber des Museums in der Verantwortung der Bibliothekarin Ev Dörsam.

Bei der Einweihung des Renaissancegebäudes vor 20 Jahren feierte Lenningen die gelungene Restaurierung unter der Leitung des Architekten Walter Aldinger. „Jedes Denkmal ist ein Stück unseres kulturellen Erbes, und jeder Verlust schmälert deshalb den Erlebnishorizont der uns nachfolgenden Generationen“, würdigte der damalige Landrat Dr. Braun das neue alte Schlössle. Nach dem großen Schlösslefest für die ganze Bevölkerung im Mai 1993 fanden vor allem die Kinder rasch den Weg in die Gemeindebücherei mitten im Ort. Ungezählte Museumsbesucher schät­zen das einmalige Forum einer jungen Kunst, das neue Impulse setzen kann für den Umgang mit Papier und Büchern.

„Preisend mit viel schönen Reden“ wird das Jubeljahr ausklingen: Am Samstag, 17. November, laden die Gemeinde Lenningen, die Bücherei Lenningen und der Förderkreis um 19 Uhr ins Julius-von-Jan-Gemeindehaus ein zu einer kleinen Feierstunde. Den Festvortrag hält Dr. Rolf Götz. Der Historiker hatte bereits zur Einweihung über das alte Fachwerkhaus und seine Erbauer geforscht und pub­liziert. Danach ist im Schlössle der „Jubeljahr-Kehraus“.

Quellen: Teckboten- und Gemeindearchiv: Franzke, J. „Zauberstoff Papier“, Nürnberg; Götz, R. „Das Schlössle in Oberlenningen“, Owen