300 Besucher strömten zur Infoveranstaltung zum Baumwipfelpfad ins Wiesensteiger Schloss
Wiesensteig bleibt gespalten

Dreieinhalb Stunden lang wurde am Dienstag bei einer Bürgerinfoveranstaltung in Wiesensteig über den Baumwipfelpfad diskutiert. Am Ende blieb es zwar weiterhin bei den beiden Lagern der Befürworter und Gegner. Die Diskussion lief aber sachlich und ohne persönliche Anfeindungen ab.

„Andere würden sich die Finger lecken“
„Andere würden sich die Finger lecken“
Wiesensteig. Bürgermeister Gebhard Tritschler betonte einleitend, dass der Abend ausschließlich dazu diene, die Wiesensteiger Bürger über das geplante Projekt Baumwipfelpfad zu informieren, damit sich diese für den Bürgerentscheid am 7. Oktober ein umfassendes Bild machen könnten. Zunächst stellte Investor Bernd Bayerköhler von der Erlebnisakademie Bad Kötzting die Pläne vor. Das Gewann Feldkopf/Bronnen sei aufgrund seiner topografischen Voraussetzungen ideal für das Vorhaben. Auf einer Fläche von 7 500 Quadratmetern solle das Projekt realisiert werden, das den 1 250 Meter langen, bis zu 23 Meter hohen und barrierefreien Pfad, einen 40 Meter hohen ovalen Aussichtsturm sowie einen Gastronomiekomplex beinhaltet.

Hinzu komme der angedachte Waldinformationsbereich. Die Pläne hierfür präsentierte Martin Geisel von der Landesforstverwaltung. Er stellte zunächst klar, dass diese – entgegen anderslautender Behauptungen – nach wie vor hinter dem Projekt stehe. Das umweltpädagogische Konzept sehe, anstatt eines großen Waldinformationszentrums, wie es ursprünglich angedacht war, mehrere Stationen vor, welche die Besucher mit auf eine Zeitreise nehmen. Sie könnten dadurch ihre Erlebnisse auf dem Baumwipfelpfad vertiefen. Das Konzept, das man in enger Abstimmung mit dem Biosphärenzentrum Münsingen erarbeite, stelle keine Konkurrenz zum Naturschutzzentrum Schopflocher Alb dar, sondern sei ein ergänzendes Angebot. Thematisiert werden an der Station „Vergangenheit“ die Erd- und Siedlungsgeschichte, an der Station „Gegenwart“ die Bereiche Nutzung und Funktionen des Waldes sowie an der Station „Zukunft“ die Aspekte Fotosynthese, Energiespeicherung, Klimawandel und erneuerbare Energien.

Nachdem die Ergebnisse des vom Kreis Göppingen in Auftrag gegebenen Verkehrsgutachtens bereits vor über einer Woche die Runde gemacht hatten (wir berichteten ausführlich), waren vor allem die Erkenntnisse der im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgten Artenkartierung mit Spannung erwartet worden. Für Ernüchterung in manchen Gesichtern sorgte allerdings die Nachricht des Ingenieurs Dr. Gunther Matthäus, dass das Naturschutz-Gutachten noch nicht vorliege. Er könne aber nach den umfangreichen Prüfungen und Untersuchungen, die in den vergangenen Monaten über eine Vegetationsperiode erfolgt waren, folgendes Ergebnis mitteilen: Im Gewann Feldkopf/Bronnen kämen zwar viele geschützte Vogel- und andere Tierarten vor, allerdings seien diese Arten so weit verbreitet, dass „aus naturschutzfachlichen und artenschutzrechtlichen Gesichtspunkten“ durch den geplanten Baumwipfelpfad keine erhebliche Beeinträchtigung zu erwarten sei.

Die Wipfelpfad-Gegner wollten sich damit nicht zufrieden geben. Sie baten darum, den Experten Dr. Wulf Gatter vom NABU Kirchheim zu Wort kommen zu lassen. Nach längerem Hin und Her (eigentlich sollten an dem Abend aus den Zuschauerreihen nur Wiesensteiger Bürger Statements abgeben dürfen) wurde es dem Kirchheimer schließlich erlaubt, kurz Stellung zu nehmen. Er bemängelte, dass in den Ausführungen von Gunther Matthäus wichtige Arten, die im Gewann Feldkopf/Bronnen vorkämen, wie der Uhu oder der Sperlingskauz, gar nicht erwähnt worden seien. Er könne gerne die vollständigen Artenlisten einsehen, entgegnete Matthäus, der an diesem Abend eine verkürzte Version präsentierte. „Dann können wir nochmals darüber reden.“

Ausführlich trugen anschließend etliche Befürworter und Gegner des Projekts ihre Argumente vor.

Das Interesse an der Bürgerinfoveranstaltung im Wiesensteiger Schloss war enorm.Fotos: Jean-Luc Jacques
Das Interesse an der Bürgerinfoveranstaltung im Wiesensteiger Schloss war enorm.Fotos: Jean-Luc Jacques
So strichen Landrat Edgar Wolff und Bürgermeister Tritschler die große Chance für die Stadt Wiesensteig und den Kreis Göppingen heraus, die der Baumwipfelpfad in Sachen Tourismus- und Wirtschaftsförderung mit sich bringe. Wiesensteig habe zwischen 1999 und 2010 42 Prozent an Arbeitsplätzen verloren, die Einwohnerzahl sei zwischen 1989 und 2011 um knapp 17 Prozent zurückgegangen. Deshalb benötige das Städtle dringend eine Attraktion, die Gäste anlockt und für mehr Leben im Ort sorgt, sagte Tritschler. Im Buch „Ab in den Wald“, das vom NABU ausdrücklich empfohlen werde, finde sich ein Ausflugstipp, der laute: „Erkundigen Sie sich nach einem Baumwipfelpfad in Ihrer Nähe“, gab der Bürgermeister zu bedenken. Und der Landrat verwies auf Kommunen, die sich die Finger nach einem solchen Projekt lecken würden: „Auch im Biosphärengebiet gibt es interessierte Gemeinden – sie haben aber keinen Investor.“

Es stehe außer Frage, dass das Projekt auch Risiken berge, fügte Tritschler hinzu. So müsse für Neidlingen und Weilheim, die nach dem Verkehrs-Gutachten 59 Prozent des Verkehrsaufkommens tragen, nach einer Lösung gesucht werden. Entlastung könne durch einen kostenlosen Shuttleverkehr erreicht werden. Die Busse könnten am Park-and-Ride-Parkplatz bei der Autobahnausfahrt am Aichelberg oder am ehemaligen Kodak-Gelände in Mühlhausen starten und die Besucher dann zum Baumwipfelpfad bringen.

Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle, der ebenso wie Neidlingens Rathauschef Rolf Kammerlander vor Ort war und für die Verwaltungsgemeinschaft Weilheim sprach, hält von einem solchen Shuttleverkehr allerdings gar nichts: „Glauben Sie wirklich, dass jemand am Aichelberg oder in Mühlhausen aus dem Auto steigt und die letzten Kilometer mit dem Bus fährt?“ Er bat die Wiesensteiger Bürger eindringlich darum, beim Bürgerentscheid mit Nein abzustimmen. Der Standort am Reußenstein sei für das Projekt nicht geeignet, da im Hinblick auf den Verkehr Weilheim und Neidlingen die Hauptlast tragen würden.

Moderator Dr. Albrecht Daur, ehemaliger Leiter der evangelischen Akademie Bad Boll, und die anderen Beteiligten freuten sich am Ende über die sachliche Diskussion. Sie alle betonten, dass beim Thema Baumwipfelpfad unbedingt wieder Frieden in Wiesensteig einkehren sollte (siehe auch Kasten).