Morgen ist Internationaler Frauentag – Aktive Kirchheimerinnen würdigen den Termin
„Wir leben im Patriarchat!“

Morgen ist Frauentag. Kirchheims Frauen feiern ihn mit einem Fest – auch wenn der Hintergrund ernster Natur ist. Zwar ist das Wahlrecht für Frauen – Anlass für den ersten Frauentag vor über hundert Jahren – längst erreicht, doch andernorts hapert‘s gewaltig. Das betonen Kirchheimerinnen, die sich seit Jahren für Frauenthemen stark machen.

Irene Strifler

Kirchheim. Eine, die sich seit mehreren Jahrzehnten für Frauen einsetzt, genauer für Frauen, denen Gewalt widerfahren ist, ist Beate Schädler. Sie trug als erste Fachkraft das Kirchheimer Frauenhaus über Jahre hinweg entscheidend mit und arbeitet jetzt im Neuruppiner Frauenhaus bei Berlin. Seit fast einem Jahrzehnt lebt sie im ehemaligen Osten und hat eine überraschende Beobachtung gemacht: „Frauen waren im Osten emanzipierter, aber die Emanzipation fand rein auf beruflicher Ebene statt, denn in Familien arbeiteten stets Vater und Mutter. Dennoch blieben die Geschlechterrollen unverändert.“ Im Westen wiederum habe sich im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts in punkto beruflicher Gleichstellung weit weniger getan als von Frauen erhofft: „In der Führungsriege ist die Welt sehr männerdominiert – auch wenn die Frauen längst bessere Abschlüsse und Ausbildungen haben“, gibt Beate Schädler zu bedenken. Woran liegt‘s? „Wir leben im Patriarchat“, verweist sie auf uralte Verhaltensmuster. Den Frauentag empfindet sie als wichtige Einrichtung, weil er einerseits nach außen wirkt und die Aufmerksamkeit der Welt auf die Probleme der Frauen lenkt. Andererseits gibt er Frauen die Möglichkeit, bei Veranstaltungen miteinander Kontakte zu knüpfen. Eine neue Erscheinung, die ihr in Bezug auf Frauenrechte Mut macht, ist die Protestaktion „One Billion Rising“. Unter diesem Motto erhoben sich weltweit am Valentinstag Frauen zum Tanz und demonstrierten damit gegen Gewalt an Frauen und gegen deren Unterdrückung.

„Junge Frauen wachsen mit dem Gefühl völliger Gleichberechtigung auf“, hat Irmela Gaber beobachtet, Vorsitzende von „Frauen unternehmen“. Das mag in der Schule tatsächlich so sein, später aber sieht die Welt anders aus: „Bei mittelständischen oder großen Unternehmen finden sich in Verantwortungspositionen kaum Frauen“, stellt Gaber klar. An der Qualifikation könne es nicht liegen, das zeige schon der Blick auf Schul- und Studienabschlüsse. Für die Vorsitzende des Zusammenschlusses von Unternehmerinnen ist das Ganze eher eine Frage mangelnder Netzwerke. Daraus will sie keinen Vorwurf an die Männer richten. Ihre Erklärung lautet: „Wenn man jemanden kennt, vertraut man ihm und empfiehlt ihn weiter.“ Deshalb seien Netzwerke mindestens so wichtig wie die Qualifikation. Hinzu komme, dass Frauen oft nicht darstellten, was sie bereits geleistet haben. Sich allerdings da viel bei den Männern abzuschauen, hält Gaber für den falschen Weg: „Nichts ist schlimmer als eine Frau, die der bessere Mann sein will“, fasst sie zusammen. Für sie ist klar, dass es auf das Miteinander beider Geschlechter ankommt, wobei hier aber durchaus mittels Frauenquote ein wenig nachgeholfen werden könnte. „Wichtig ist auch, dass junge Frauen hinterfragen, wie es um die Gleichberechtigung bestellt ist, und dass sich Frauen mehr darum kümmern, wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen zu können.“

Handlungsbedarf in punkto Gleichstellung sieht auch Sabine Bur am Orde-Käß. Sie ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kirchheimer Gemeinderat und wünscht sich vor allem mehr Frauen in der Politik. „Viele Frauen engagieren sich stark im Kindergarten, in der Mensa, einfach überall“, weiß sie, dass es an Einsatzbereitschaft nicht fehlt. Dass es in der Politik weniger sind, könnte an den verkrusteten Strukturen liegen. „Die Art, wie Kommunalpolitik gemacht wird, entspricht noch den 60er-Jahren und ist alles andere als frauenfreundlich“, gibt sie zu bedenken. Junge Mütter können kaum an Sitzungen teilnehmen, die um 16 oder 17 Uhr beginnen und sich bis 23 Uhr hinziehen, weiß sie aus eigener leidvoller Erfahrung. Dennoch hofft Sabine Bur am Orde-Käß, dass sich die Frauenquote von 20 Prozent im Kirchheimer Gemeinderat nach den nächsten Kommunalwahlen erhöht. Was die berufliche Gleichstellung anbelangt, setzt sie große Hoffnungen auf den Ausbau der Kinderbetreuung. „Wenn die Kinder gut versorgt sind, werden sich mehr Frauen früher in den Beruf zurücktrauen und nicht mehr abgehängt werden von ihren Kollegen.“

Das Thema Kinderbetreuung ist auch für Birgit Müller der Knackpunkt. Sie vertritt die Frauenliste, die es seit fast einem Jahrzehnt gibt, von Beginn an im Kirchheimer Gemeinderat. „Für unsere Generation haben Frauen schon den Zugang zu guter Schulbildung erstritten, trotzdem war es schwierig, berufstätig zu sein“, erinnert sich die Mutter von vier Kindern daran, dass noch Anfang der 90er-Jahre Kindergärten im Normalfall ab 12 Uhr mittags geschlossen hatten. In punkto Arbeitsbedingungen habe sich also heute, in Zeiten drohenden Arbeitskräftemangels, vieles verbessert, weniger allerdings bei den Aufstiegschancen. Birgit Müller schätzt daher die Bedeutung des Frauentages hoch ein, um öffentlich zu machen, dass manches im Argen liege. Sie prangert vor allem die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern an, über die die Frauenliste mit anderen Akteuren auch beim „Equal Pay Day“ am 23. März informieren wird. Was die Politik betrifft, hat Birgit Müller durchaus das Gefühl, dass Frauen den politischen Prozess entscheidend beeinflussen, in Kirchheim speziell die Frauenliste. Für eine Stadt könne dies nur von Vorteil sein, schließlich seien es die Frauen, die das Umfeld im Blick hätten und in der Stadt unterwegs seien, sei es mit kleinen Kindern oder bei der Betreuung alter Menschen.

 

Der Fest zum internationalen Frauentag findet am morgigen Freitag ab 19 Uhr in der Aula der Alleenschule statt.

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„FRAUEN-MACHT-POLITIK“ heißt ein musikalisch-informativer Abend am Dienstag, 12. März, um 20 Uhr in der Kirchheimer Stiftsscheuer mit der frauenpolitischen Sprecherin der Grünen im Landtag, Charlotte Schneidewind-Hartnagel. Thema: Gleichstellung von Frauen in Politik und Wirtschaft.