Wer die Stadt-Apartments im Steingauquartier betritt, merkt sofort: Das hier ist keine normale WG. In den Gemeinschaftsräumen ist es blitzsauber, aufgeräumt – und mucksmäuschenstill. „Wir nennen es Hotel-WG, Clusterwohnen oder auch Boarding-House“, sagt Servicebetreuerin Sandra Weiler. Mit den Stadt-Apartments bietet das Immobilienwerk Rudolph seit Dezember 2020 gehobenes, gemeinschaftliches Wohnen auf Zeit an, eine Mischung zwischen Hotel, Ferienwohnung und Wohngemeinschaft. Aber wie funktioniert eigentlich so eine WG mit Hotelcharakter, wer mietet sich ein und warum?
An diesem Vormittag lässt sich keiner der Bewohner blicken – nicht in der Gemeinschaftsküche mit dem Holz-Esstisch und den zwögemütlichen, farbigen Polsterstühlen. Und auch nicht in der TV-Lounge, wo vor bodentiefen Fenstern eine große, graue Wohnlandschaft steht. „Die meisten wollen für sich sein“, hat Sandra Weiler festgestellt. Die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens im Steingauquartier zündet in der Cluster-WG im Moment nicht so recht. „Leider“, wie die Servicebetreuerin findet.
So bleiben Gemeinschaftsküche und -wohnzimmer dieser Tage oft unbenutzt, die Türen im Flur geschlossen. Das Leben spielt sich vor allem hinter ihnen ab – in sieben unterschiedlich geschnittenen Ein-Zimmer-Apartments, alle zwischen 21 und 37 Quadratmetern groß: abgetrennte Mini-Wohnungen in einer 300 Quadratmeter großen Gemeinschaftswohnung sozusagen. Jedes der Apartments ist ausgestattet mit einem Boxspring-Doppelbett, einem eigenen kleinen Bad und einer Küchenzeile. Wer nicht will, muss die Gemeinschaftsräume also gar nicht nutzen.
Traumhafter Blick auf der großen Dachterrasse
Es gab schon Phasen, in der die Gemeinschaft ausgeprägter war. In der Corona-Zeit etwa haben die Bewohner sich ein Homeoffice am Esstisch eingerichtet, erzählt Sandra Weiler. Immer wieder gab es auch schon gemeinsame Fußballabende, Kochtreffen oder Grillfeste mit den Nachbarn auf der großen Dachterrasse, die allen Bewohnern des Gebäudes zur Verfügung steht und einen traumhaften Ausblick bietet – vom Würstlesberg bis zur Teck und weiter. Wie intensiv der gemeinschaftliche Aspekt ausgeprägt ist, hängt immer von der Zusammensetzung der Bewohner ab. Und die könnten oft nicht unterschiedlicher sein.
„Das Alter der Mieter reicht von 18 bis 80 Jahren“, sagt Sandra Weiler. Manche kommen aus Kirchheim, andere sogar von einem ganz anderen Kontinent. „Da prallen Welten aufeinander.“ Was nicht bedeutet, dass das Zusammenleben nicht reibungslos funktioniert. „In der Regel klappt das erstaunlich gut.“ Als Ausnahme fällt Sandra Weiler eine Dame aus Indien ein, die einmal dort gewohnt hat und jeden Abend bis tief in die Nacht mit vielen Gästen in der Gemeinschaftsküche gekocht hat. „Das hat wirklich alle anderen gestört.“
Ansonsten lebt es sich offenbar gut in den Stadt-Apartments: Eine ältere Mieterin etwa fühlt sich so wohl, dass sie einfach in der Cluster-WG geblieben ist – seit über zwei Jahren.
Die Bewohner erhalten Zwei-Monats-Verträge, die bei Bedarf verlängert werden. Die Mindestdauer für einen Aufenthalt beträgt in der Regel einen Monat. Gibt es zwischendrin Lücken, macht Sandra Weiler auch mal Ausnahmen für kürzere Aufenthalte. „Einige Mieter kommen auch ein zweites Mal wieder“, so die Servicebetreuerin.
Die Apartments sind regelmäßig ausgebucht
Tatsächlich sind alle sieben Apartments seit der Eröffnung vor knapp zweieinhalb Jahren durchweg belegt gewesen – und sie sind auch schon bis Ende dieses Jahres wieder so gut wie ausgebucht. „Bedarf wäre noch viel mehr da“, so Weiler. Immer wieder muss sie Interessenten Absagen erteilen. Die Stadt-Apartments sind also ein echtes Erfolgskonzept – allerdings mit geringer Gewinnspanne: Dazu sind der Verwaltungsaufwand durch Buchungen, Mieterwechsel und Reinigung sowie die laufenden Kosten für Reparaturen und Ersatzanschaffungen zu hoch. Fakt ist auch: Gemeinschaftsflächen kosten Geld.
Zurück zu denen, die dort leben. „Oft mieten Studenten oder Firmen-Praktikanten die Wohnungen“, sagt Sandra Weiler. Im Moment leben beipielsweise ein holländischer und ein dänischer Student in den Apartments. Beide absolvieren Berufspraktika bei Kirchheimer Unternehmen.
Eine weitere typische Klientel: junge Männer, die das heimische Nest verlassen sollen. Allerdings bemühen sie sich in der Regel nicht selbst um eine Wohnung, wie Sandra Weiler erzählt. Bei ihr stehen meist die Mütter auf der Matte, die neben der Wohnung auch noch den Reinigungs- und Wäsche-Service für ihre Söhne buchen und bezahlen.
Diese jungen Männer sind es übrigens auch, die sich am häufigsten bei der Servicebetreuerin auf dem Notfall-Handy melden – „meistens, wenn sie ihren Haustürschlüssel vergessen haben“, sagt sie schmunzelnd. Sie hilft gerne – es sei denn, es ist mitten in der Nacht.
Nach der Trennung in die WG
Abgesehen davon liebt Sandra Weiler ihre Aufgabe. „Das ist ein Traumjob“, sagt die Leiterin des Servicebüros der Immobilienwelt Rudolph, die ursprünglich Kinder-Modedesign studiert hat und auch im Bereich Inneneinrichtung und Wohndesign tätig ist. Zum einen durfte sie die Wohnungen mitgestalten. Zum anderen hat sie dort täglich mit den unterschiedlichsten Menschen aus aller Welt zu tun. „Bisher hatten wir 38 unterschiedliche Mieter.“ Für die Bewohner ist sie die Anlaufstelle, egal ob es um die Wohnung geht oder sie etwas anderes auf dem Herzen haben. „Manchmal muss man auch trösten“, sagt sie. Besonders häufig mieten sich in der Cluster-WG nämlich Männer und Frauen ein, die sich frisch von ihrer Partnerin oder ihrem Partner getrennt haben.