„Wir hören die Züge mittlerweile nicht mehr“, winken die Eheleute ab. Sie genießen vielmehr die Nostalgie in dem schmucken, historischen und denkmalgeschützten Häuschen, Baujahr 1899. Die Geräusche der vorbeifahrenden Züge und der Verkehrslärm der nahe gelegenen Bundesstraße 465 sind da eher nebensächlich. Zumal die Sokolowskis neue schallgedämpfte, aber dennoch originalgetreue Fenster eingebaut haben. „Sie halten viel Lärm ab“, betont Jochen Sokolowski.
„Am Anfang war es furchtbar mit dem Schmutz. Ich hatte jeden Tag das Gefühl: Überall ist Ruß der Dieselloks“, erinnert sich die 67-Jährige. „Mit den neuen Zügen ist es aber viel besser geworden“, verdeutlicht Jochen Sokolowski, der von Anfang an von der Idee begeistert war, im Dettinger Bahnhof zu wohnen.
Es dauerte nicht lange, bis die anfängliche Skepsis seiner Frau verflogen war. Schon bald war es auch für sie etwas Besonderes und ein großes Privileg, in dem hübsch herausgeputzten Gebäude mit der zartrosa Fassade und den moosgrünen Fensterläden leben zu dürfen. „Man wohnt hier anders, viel individueller. Wir sind froh, dass der Gemeinderat damals zugestimmt hat“, verdeutlicht die 67-Jährige und schwärmt: „Ich liebe das Bahnhofsgebäude, als ob es mein eigenes Haus wäre.“
Anfang der 90er-Jahre wurde zunächst die Außenhülle des Gebäudeensembles saniert, dann folgte der Innenausbau. „Wir haben selbst auch sehr viel reingesteckt“, sagt Jochen Sokolowski. Zu tun gab es jede Menge: So wurde zum Beispiel der alte Teppichboden entfernt, damit der schöne, aus Pitchbine-Holz bestehende Parkettboden zum Vorschein kam. „Das war ein sehr großer Aufwand.“ Darüber hinaus musste man tapezieren, streichen und das Treppengeländer von der Farbe befreien, mit der es lackiert worden war. „Außerdem war der Keller mit Schlacke gefüllt, und die Fenster waren zum Teil eingeschlagen“, beschreibt der Dettinger. Hinzu kam, dass die Gemeinde und die Sokolowskis bei all diesen Arbeiten stets darauf achten mussten, die Auflagen des Denkmalschutzes einzuhalten. Schließlich sollte das Monument nach der Sanierung originalgetreu in neuem Glanz erstrahlen.
Viele Arbeitsstunden brachten aber auch die Dettinger Landfrauen und Modellflieger ein, die nach Abschluss der Sanierung ebenfalls im Bahnhofsgebäude unterkamen. So befindet sich im Nebengebäude, in dem früher Toiletten und ein Lagerraum für die Bahn eingerichtet waren, die Werkstatt der Modellflieger. Im Hauptgebäude direkt unter dem Wohnzimmer der Sokolwskis haben die Modellflieger ihren Vereinsraum eingerichtet. Und gleich nebenan kommen die Landfrauen regelmäßig zusammen.
„In der Region gibt es keinen vergleichbaren Bahnhof, bei dem Haupt- und Nebengebäude noch erhalten sind“, schwärmt Jochen Sokolowski. Auch die Firma Kibri, Hersteller für Modellbahn-Zubehör, hat das erkannt und vor einigen Jahren ein Modell des Dettinger Bahnhofs auf den Markt gebracht. Ein solches steht auch am Arbeitsplatz von Jochen Sokolowski und erinnert ihn stets an sein außergewöhnliches Zuhause.
Doch an dem altehrwürdigen Gebäude nagt der Zahn der Zeit. „Das Haus steht frei und ist Wind und Wetter ausgesetzt. Die Sonneneinstrahlung ist stark. Das alles schafft an der Fassade“, erklärt Jochen Sokolowski. Er freut sich deshalb besonders darüber, dass die Gemeinde im nächsten Jahr eine erneute Sanierung der Außenfassade angehen will.
„Wir werden oft angesprochen auf unsere Wohnung“, erzählt Hannelore Sokolowski. „In den ersten Jahren erhielten wir viel Besuch. Alle wollten sich die Wohnung anschauen. Das Haus hatte sich damals fast zu einer Gaststätte entwickelt“, sagt ihr Mann schmunzelnd. In dem alten Gebäude zu leben, hat für die Eheleute auch etwas damit zu tun, das Haus zu achten. Außerdem sei der Blick vom Wohnzimmer aus auf die Teck unbezahlbar. „Es ist herrlich, von hier aus den Wandel der Natur im Lauf der Jahreszeiten zu beobachten“, unterstreicht die 67-Jährige und fügt augenzwinkernd hinzu: „Deshalb haben wir im Wohnzimmer auch keine Vorhänge.“