Plochingen. Nirgends gibt es gerade Linien oder rechte Winkel. Farbige Kacheln auf der Fassade versprühen Fröhlichkeit. In ihrer Kombination erzeugen diese Elemente eine Art Märchenwelt. Typisch Friedensreich
Hundertwasser. So kennt man die Bauwerke des extravaganten österreichischen Künstlers. Und so schätzen es auch die Bewohner der Anlage „Wohnen unterm Regenturm“ in Plochingen – seit genau zwei Jahrzehnten. Im September 1994 wurde der Bau eingeweiht. An dieses Jubiläum wollen die Stadt am Neckarknie und die dort lebenden Menschen am Sonntag, dem bundesweiten Tag des offenen Denkmals, erinnern.
Zum runden Geburtstag beschenken sich die Bewohner selbst mit einem Musikstück, das der Salzburger Tonkünstler Sascha Selke eigens für das Ereignis komponiert hat. „Der Klang wird komplett auf das Gebäude ausgelegt sein“, sagt Klaus Müller, der Vorsitzende des Beirats der Eigentümergemeinschaft. Selke habe für die Komposition die Anlage schwingungsmäßig vermessen. „Das wird eine Supersache“, freut sich der 57-Jährige auf die Uraufführung des sechsminütigen Stückes, die am Sonntag um 12 Uhr im Innenhof des Hundertwasser-Baus stattfinden wird. Zuvor wollen sich Mieter und Eigentümer im örtlichen Kino einen Film über den legendären, im Jahr 2000 verstorbenen Künstler aus Wien anschauen. Die Öffentlichkeit hat von 14 bis 17 Uhr Gelegenheit, im normalerweise verschlossenen Innenhof das Bauwerk auf sich wirken zu lassen.
Klaus Müller tut das jeden Tag. Mit Hochgenuss, wie er erzählt. „Das Interessante an der Anlage ist, dass man von allen Seiten immer wieder neue kleine Blickkunstwerke entdecken kann“, schwärmt der Diplom-Ingenieur für Umweltschutz von dem einmaligen Bauwerk, an dem er sich auch nach 20 Jahren noch nicht sattsehen kann. Im Dezember 1994, also nur zwei Monate nach der Einweihung, ist er in den Hundertwasserbau eingezogen. Erst in eine kleinere Wohnung, später dann in eines der luxuriösen Turmappartements, das sich über drei Ebenen erstreckt und das er mit seiner Frau erworben hat. Sie betreibt die Apotheke im Gebäude, die dem Ehepaar auch gehört. „Ich würde mich heute wieder so entscheiden“, sagt der Beiratsvorsitzende. Er liebt es, das Baukunstwerk in den unterschiedlichen Jahreszeiten immer wieder neu zu erleben und zu entdecken. Am schönsten sei es mit Lichterglanz in der Weihnachtszeit: „Wenn der Innenhof dann beleuchtet ist, fühlt man sich wie im Schlaraffenland.“
Am Anfang hätten sich des besonderen Flairs wegen viele junge Leute hier niedergelassen, berichtet Müller. Heute sei das altersmäßig gemischt. Etwa die Hälfte der Eigentümer der zwei bis fünf Zimmer großen Wohnungen lebt selbst hier. Der Stamm davon seit annähernd 15 Jahren. „Man kennt sich“, erzählt Müller. Und wie zum Beweis grüßt Dieter Hanselmann von seiner Terrasse: „Hallo Klaus.“ Für ein kurzes Schwätzchen ist immer Zeit. Hanselmann zählt zu den Ureinwohnern. Gleich im September 1994 ist er eingezogen. Auch er möchte die Wohnung und das Ambiente nicht missen – der liebenswerten Nachbarn und auch der Ruhe wegen.
Die Gemeinschaft wird gepflegt. „Einmal im Jahr gibt es ein Hoffest“, berichtet Müller. Bei schönem Wetter treffe man sich auch mal spontan unter dem Pavillon. „Bei der Fußball-Weltmeisterschaft haben wir einige Spiele auf einer großen Leinwand gemeinsam geschaut.“ In der Hausgemeinschaft gebe es „wenig Zank und eine hohe Toleranz“. Und man sei bereit, immer wieder in den Erhalt der besonderen Anlage zu investieren. Vor vier Jahren hatte man um die 300 000 Euro für die Renovierung der Fassade ausgegeben. Dabei wurden auch die vier Kugeln auf dem Turm neu vergoldet. Im Jahr 2006 war die Tiefgarage mit erheblichem finanziellen Aufwand renoviert worden.
Müller wird oft gefragt: Hat Friedensreich Hundertwasser auch in den Wohnungen selbst seine Spuren hinterlassen? Fast nicht. Nur in drei Appartements gibt es ähnliche Elemente wie an der Außenfassade.
Info
Am Tag es offenen Denkmals, Sonntag, 14. September, werden im Innenhof des Plochinger Hundertwasserbaus drei jeweils 20-minütige Führungen angeboten: um 14.30, 15.30 und um 16.30 Uhr.