Bissingen. Das alte, aber liebevoll renovierte Bauernhaus von Cornelie und Hans-Martin Höfer steht mitten im Zentrum von Bissingen. Zwei Pferde stehen im Stall, Laufenten watscheln durch den Garten, im Haus bellt Hund Caccian und die Katze liegt schnurrend auf der Eckbank. Aus dem hellen, geräumigen Zimmer mit dem alten Kachelofen und dem „Gastbett auf Zeit“ geht der Blick hinüber zum Albtrauf mit dem Breitenstein. Wie oft haben ihn Gäste der Familie Höfer, wie etwa Gertrud Trittler, schon genossen?
1989 entwickelten Ruth Hamberger und Inge Hafner von der Altenhilfe-Fachberatung des Landkreises das Projekt „Gastbetten auf Zeit“. Die Idee, die dahintersteckt, ist für Cornelie Höfer gut nachvollziehbar. Viele alte Menschen scheuen sich, über Nacht in ein Altersheim in Kurzzeitpflege zu gehen, weil sie Angst davor haben, abgeschoben zu werden. „Auch die Bindung an eine Familie ist ihnen wichtig“, weiß die gelernte Erzieherin.
2003 rührte die Altenhilfe-Fachberatung erneut die Werbetrommel für ihr Projekt. Die Bissinger Familie nahm mit 20 weiteren Interessenten am Schulungskurs der Altenhilfe-Fachberatung für Gastfamilien teil. Unter den Familien, die sich vorstellen konnten, „Gastbetten auf Zeit“ anzubieten, waren Ruheständler und Menschen, die bereits eigene Angehörige gepflegt hatten.
Es gibt relativ wenige Landkreise in Baden-Württemberg, in denen „Gastbetten auf Zeit“ angeboten werden. Das steht und fällt mit der Person, die das betreut, sagt Cornelie Höfer. Heute ist dies Bärbel Braun vom Sozialpsychiatrischen Dienst für alte Menschen (SOFA) mit Sitz in Nürtingen. Kommt eine Anfrage nach einem „Gastbett auf Zeit“, dann überlegt Bärbel Braun, zu welcher Familie könnte dieser alte Mensch passen. Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Nach einem Gespräch zwischen der Fachberaterin, dem „Gast auf Zeit“ und dessen Angehörigen kann sich jeder nochmals in aller Ruhe überlegen, „ob‘s passt und dann zusagen oder ablehnen“, berichtet Cornelie Höfer.
Ursprünglich hatte die Familie gegenüber der Fachberatung den Wunsch geäußert, niemanden in den Ferien aufnehmen zu müssen, weil dann die Kinder vom Studium nach Hause kamen und ziemlich viel Umtrieb war. Prompt kam die erste Anfrage in dieser Zeit. Höfers sagten dennoch zu und stellten nachträglich fest, „dass so viel Leben für die alten Menschen genau das Richtige war“, wie Hans-Martin Höfer schmunzelnd sagt. „Wenn sie wollten, wurden sie immer einbezogen, gingen mit zum Einkaufen oder schälten Äpfel für den Kuchen“, ergänzt Cornelie Höfer. Nicht selten war das für die Senioren der Impuls, nach den zwei oder drei Wochen in Bissingen auch zu Hause wieder selbst zu kochen.
Sich für andere zu engagieren, ist für Cornelie und Hans-Martin Höfer nichts Ungewöhnliches. 2001 lag der 56-Jährige nach einem Unfall lange im Koma und erholte sich danach nur langsam. „Wenn ich wieder auf die Beine komme“, nahm sich Hans-Martin Höfer damals während er Reha vor, „dann will ich die Zuwendung, die ich in dieser Zeit erfahren habe, an andere Bedürftige zurückgeben“. Jetzt gehören neben ihren drei eigenen Kindern zwei Pflegekinder zur Familie, ebenso wie Andreas, das dritte Pflegekind, das mehrfach behindert ist.
Das „Gastbett auf Zeit“ stand bei den Höfers seit 2003 nie lange leer. 20 bis 25 betreuungsbedürftige Menschen nahmen sie bislang auf. Viele mehrmals. „Eine Frau war 20 Mal bei uns“, sagt Cornelie Höfer. Der jüngste Gast war 65, der älteste 94 Jahre alt. Immer wieder aufs Neue war das Ehepaar bereit, sich auf seine Gäste und ihre „Mödele“ einzustellen. „Wenn jemand oft kommt, der gehört einfach mit allem dazu“, sagt Cornelie Höfer. Aber auch junge Leute, die durch alle Raster fielen, nahm die sozial engagierte Bissinger Familie auf.
„Man muss offen sein, jeden anzunehmen, wie er ist, aber auch selbst bereit sein, sich so anschauen zu lassen, wie man selbst ist“, nennt Cornelie Höfer eine wichtige, aber nicht immer einfache Voraussetzung für die Aufnahme von „Gästen auf Zeit“. Doch wenn dies gelingt, sind die Erfahrungen umso schöner. Auch für die Angehörigen. Wie etwa bei der 94-jährigen Fremdsprachenkorrespondentin. Ihr größter Wunsch war es, ihren Sohn in den USA zu besuchen. Doch das erschien ihr mit ihrem schwachen Herz unmöglich. Erst nach einem Ausflug auf die Schwäbische Alb mit ihren Bissinger Gastgebern, bei dem sie bereit war, im Rolli zu sitzen und sich schieben zu lassen, war auch die Amerikareise kein Problem mehr.