„Zum Brüllen komisch“ mit Holger Müller als „Ausbilder Schmidt“ auf der Neidlinger Künstlerbühne
„Zum Brüllen komisch“ mit Holger Müller als „Ausbilder Schmidt“ auf der Neidlinger Künstlerbühne

Neidlingen. Applaus gilt als Brot des Künstlers. Schwaben wiederum sind bekannt für ihre oft die Geizgrenze überschreitende Sparsamkeit. Dass


ein Kabarettist schon beim ersten Schritt auf die Bühne des Neidlinger Lamm-Saals großzügig mit Applaus geradezu überschüttet wird, ist zumindest ungewöhnlich.

„Ausbilder Schmidt“ hat aber eine Vision und die lässt er sich von nichts und niemandem nehmen. Auch wenn das Ende der Wehrpflicht längst eingeleitet und der blaublütige Befürworter dieses finalen Befreiungsaktes in die Wüste geschickt wurde, bleibt sich der Ausbilder treu und geht konsequent seinen Weg. Schließlich weiß er, dass der „Feind“ nicht im fernen Ausland zu suchen, sondern längst hier angekommen ist. An gelbem Nummernschild und Wohnwagen leicht identifizierbar haben etwa die Holländer nach Überzeugung des Kabarettisten schon in der Schöpfungsgeschichte eine wichtige Rolle gespielt. Holger Müllers von der traditionellen Lehrmeinung abweichende These lautet, Eva habe im Paradies nicht in einen Apfel, sondern „in eine holländische Tomate“ - also in „schnittfestes Wasser“ - gebissen. Damit sorgte sie nicht nur für die noch heute auf den Autobahnen zu beobachtende Vertreibung aus dem Paradies, sondern ist auch für die Sintflut verantwortlich. „Ausbilder Schmidt“ will daher für mögliche feindliche Übergriffe auch nicht länger im fernen Ausland aktiv bleiben, sondern zuallererst einmal die Niederlande besetzen.

Friedensbewegte Menschen wären wohl rasch bereit, den erstaun-lichen Erfolg des uniformierten „Schleifers“ damit zu erklären, dass bei seinen Auftritten zweifellos viel Gewalt im Spiel ist, doch das greift zu kurz. Der anarchische Ausbilder hat eine Mission und vor allem auch eine schwere Kindheit im Tornister. Als Sohn friedens- und drogenbewegter Eltern gewaltfrei erzogen, die ihn nie schlugen, sondern immer über alles reden wollten, hat er die Folgen subtiler Folter längst am eigenen Leib erfahren und gelernt, hart zu sein - zu sich und zu anderen.

Nachdem der 1969 geborene Kabarettist den an Peinlichkeit nicht zu überbietenden lila VW-Bus seiner Hippie-Eltern olivgrün angestrichen hat, verweigerte er sich konsequent der Grunderziehung an der Waldorfschule. Kampfbereit setzte er sich gegen alle Versuche zur Wehr, ihn Namen tanzen zu lassen oder anderen unmännlichen Verweichlichungsbemühungen zu folgen. Begeistert war er dagegen von der Idee, Waffen und Kriegsspielzeug gegen Bücher zu tauschen und rüstete mit dem gesamten Bücherbestand aus den Regalen seiner Eltern seine martialischen Bestände im Kinderzimmer weiter auf.

Während Drogenfreunde bei der Blutspende die Spritze selbst setzen könnten, wenn sie nur daran denken, dass sie ziehen statt drücken müssen, will sich der „Panzerflüsterer“ von den verweichlichten „Luschen“ dadurch unterscheiden, dass er als echter Mann bei der Blutspende gleich mit dem Gewehr einen Zeh wegschießt und nicht tröpfchen- sondern gleich eimerweise Gutes tut.

Neben den wohnwagenwandernden Holländern steht „Ausbilder Schmidt“ auch den französischen Nachbarn und vor allem auch ihren „Kochkünsten“ kritisch gegenüber. Die dort zelebrierten „Grüße aus der Küche“ sind für ihn in ihrer Unscheinbarkeit nichts anderes als bare Befehlsverweigerung. „Wer dem Storch die Nahrung wegfrisst“, brauche sich auch nicht zu wundern, wenn er ausstirbt, während es beim überalternden Nachbarn nicht mehr heißt, „Du bist Deutschland“, sondern „Du bist Johannes Heesters“.

Dass er nicht nur markige Sprüche durch die Gegend brüllen kann, bewies Holger Müller augenfällig. In musikalisch wie feinmotorisch überzeugender Virtuosität durchtanzte er mit traumwandlerischer Souveränität die selbstgestellte Disco Dance-Herausforderung. Kaum zu erwartende Sensibilität belegte er auch mit seinen bewegenden Einblicken in sein „lyrisches Ich“. Seiner Auserwählten attestierte „Ausbilder Schmidt“, in seinen Augen „schöner als ein Marschflugkörper“ zu sein und das auch ohne „Haute Couture von Dior“ sondern nur „in einem Kleid von Christian Kik“.

Mit seinem autobahn- und landstraßenerprobten Panzer direkt von Aschaffenburg kommend, wo er sein bei grenzwertigen Ausrutschern zu fütterndes Sparschwein angeblich mit 800 Euro gemästet hatte, zeigte sich der Kabarett-Kamikaze in der Provinz wohl eher von seiner sanften Seite. Nur eine Münze warf er schließlich in das der freiwilligen Selbstkritik wegen aufgestellte Zensur-Schweinderl, qualmte aber ungeniert in den Rauchmelder, um die Feuerwehr wachzurütteln, zündete Stofftiere an und gab gutgelaunt den brüllenden Rambo, der sich zuletzt auch noch Kuscheltiere und Spitzenwäsche auf die Bühne werfen ließ.

Ob Holger Müller tatsächlich immer „Zum Brüllen komisch“ war, wie sein Programm versprach, muss individuell entschieden werden. Die selbstgesetzte hohe Hürde hat der Ausbilder aber zweifellos übersprungen, der schon frühzeitig seinen Anspruch an sich selbst formuliert hatte. In der Comedy-Szene heiße es nicht umsonst, „wer es in Neidlingen schafft“, der gehöre zu den ganz Großen. Der wohl bis zum Reußenstein wahrnehmbare Abschiedsapplaus zeigte, dass der TV-erprobte „Schleifer“ Schmidt sein Ziel erreicht hat.