„Du bist ja noch jung, du kannst ja noch Kinder kriegen“ – diesen Satz konnte Daniela S. nicht mehr hören. Der vermeintliche Trost war für sie keiner, denn sie hatte ihre Tochter verloren, und für diese Tochter würde es nie einen Ersatz geben. Inzwischen hat Daniela S. tatsächlich ein gesundes Kind zur Welt gebracht: Fabian-Lucien. Er ist jetzt 15 Monate alt und der Sonnenschein der Familie. Ein Ersatz für Laura ist er aber nicht. „Ich finde den Satz ,Du kannst ja noch Kinder kriegen‘ immer noch furchtbar“, sagt die junge Mutter. Auch während der zweiten Schwangerschaft war Laura immer präsent. „Ich habe geträumt, das Kind ist weg, der Bauch ist leer. Besonders um den 4. Juli herum kriege ich diese Träume“, erzählt Daniela S. Der 4. Juli ist Lauras Geburtstag und zugleich ihr Todestag.
Auch der 24. Oktober ist für Florian und Daniela S. ein besonderer Jahrestag: Vor zwei Jahren war das in Kirchheim der Tag der Beerdigung aller „Sternenkinder“. Beide haben diese Feier noch gut in Erinnerung, und zwar in doppelter Hinsicht: Sie erinnern sich noch deutlich an die Bestattung auf dem Alten Friedhof, und sie erinnern sich gerne daran, so traurig der Anlass damals auch war. „Schöner hätte ich es mir gar nicht vorstellen können. Ich hätte nicht gedacht, dass die kleinen Kinder so würdevoll und mit so viel Respekt bestattet und verabschiedet werden“, hatte Daniela S. vor zwei Jahren gesagt. Bis heute geht die Familie regelmäßig auf den Alten Friedhof.
„Ganz so viele Eltern gehen vielleicht nicht mehr hin“, meint Daniela S., „aber wir pflegen das Grab ja auch nicht nur für unsere Tochter, sondern für alle
.“ Ihr Mann ergänzt: „Jeder macht das auf seine Weise.“ So ähnlich sagt das auch Krankenhausseelsorger Wolf Peter Bonnet bei diesen besonderen Beerdigungsfeiern: „Trauer braucht ihre Zeit. Wie viel, kann kein Mensch beurteilen. Beim einen dauert es länger, beim anderen nicht so lang. Beides darf sein.“ Für Florian und Daniela ist es selbstverständlich, dass sie auch Fabian mitnehmen zum Grab und dass sie ihm von seiner Schwester erzählen. „Das gehört einfach dazu“, sagt Daniela S. und ergänzt dann sofort: „Viele können damit nicht umgehen. Sie sagen: ,Die hat doch gar nicht gelebt. So schlimm kann‘s dann ja auch nicht sein.‘ Für uns hat sie aber gelebt, halt nicht außerhalb vom Bauch. Aber sie war da, sechs Monate lang.“
Umgekehrt tut sich auch Daniela S. schwer, wenn sie sieht, wie andere in derselben Situation völlig anders handeln als sie: Im Fernsehen hatte eine Mutter von ihren Gewissensbissen wegen eines Schwangerschaftsabbruchs berichtet. Sie geht nicht auf den Friedhof, weil sie glaubt, kein Recht dazu zu haben. Für Daniela S. ist das nicht nachvollziehbar, stand sie doch einst vor derselben schweren Entscheidung. Aber für sie und ihren Mann hat sich seither nichts geändert: „Wir sagen auch nach zwei Jahren noch, dass es richtig war, so entschieden zu haben. So schwer es ist.“
Nach wie vor gehen die beiden offen mit dem Thema um. Trotzdem bleibt es für die meisten Gesprächspartner ein Tabuthema. „Wenn jemand feststellt, dass Fabian ganz wie der Papa aussieht, dann sage ich: ,Ja, wie die Laura auch.‘ Wenn ich dann von Laura erzählen will, fragt meistens niemand mehr nach.“ Und genau das findet Daniela S. sehr schade: „Es wäre mir lieber, sie würden fragen. Wir halten das nicht geheim.“ Wenn sie nach ihren Kindern gefragt werden, dann sagen Florian und Daniela: „Wir haben zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Aber unsere Tochter lebt nicht mehr.“
Auch vor zwei Jahren hätte sich das Ehepaar mehr Gesprächsbereitschaft von den Mitmenschen gewünscht. „Da hat uns oft die Menschlichkeit gefehlt. Es hätte uns ja schon gereicht, wenn mal jemand gesagt hätte: ,Das tut mir leid für Sie.‘“
Optimal betreut fühlte sich Daniela S. dafür bei der Schwangerschaft mit Fabian. Ihr Frauenarzt hatte Verständnis für alle Ängste, vor allem wenn es zu Komplikationen kam. Aber auch Routineuntersuchungen waren nicht einfach: „Ein besonders schwieriger Termin war die Frühdiagnostik in der 21. Woche.“ Bei diesem Termin waren ein Jahr zuvor sämtliche Träume von einem glücklichen Leben mit Laura-Melina geplatzt.
„Du kannst ja noch Kinder kriegen“ – mit diesem Satz kann und will Daniela S. niemanden trösten. Aber es ist ihr wichtig, Eltern zu zeigen, „dass man trotzdem den Mut fassen kann, es nochmal zu probieren.“ Natürlich lasse sich das verstorbene Kind nicht ersetzen. Aber zumindest hat Fabian seiner Mutter sehr schnell eine ungeheure Angst genommen –die Angst, „vielleicht gar nicht mehr schwanger werden zu können“.