Nürtingen. „Ich wollte Maler werden und bin Picasso geworden“, sagte das Jahrhundertgenie einst und hatte damit selbst deutlich erkannt, dass er schon zu Lebzeiten längst zur Marke geworden war. In der Nürtinger Kreuzkirche wurde am Donnerstagabend die Picasso-Ausstellung „Zwischen Eros und Arena“ eröffnet, die bis 19. Februar zu sehen ist.
135 Bilder – Originalgrafiken, -radierungen, Lithografien und Holzschnitte des großen Künstlers – sind in der Kreuzkirche ausgestellt. Rund ein Jahr hat die Nürtinger Galeristin Brigitte Kuder-Broß an der Ausstellungskonzeption gearbeitet, die die Schaffensperiode zwischen 1927 und 1962 umfasst. „Zwischen Eros und Arena“ lautet der Titel, den Kuder-Broß der Ausstellung gab. Stierkampfmotive, aber auch die Zirkusarena sind im Erdgeschoss der Kreuzkirche ausgestellt. Dazu gesellen sich einige Raritäten wie das Porträt von Sylvette, der ersten Frau, die ihr Haar zum Pferdeschwanz zusammenband. „Picasso malte sie und das Bild animierte danach viele Frauen, sich wie Sylvette zu frisieren“, erzählt Brigitte Kuder-Broß beim Gang durch die Ausstellung.
Auf der Empore gibt es die typischen Picasso-Fantasiegesichter. Gleich ins Auge fällt die „Seated Woman with wrist watch“, ein kubistisches Gemälde, das seine Geliebte Marie-Therese Walter darstellt.
Das Thema Eros ist dem Obergeschoss vorbehalten. Hier dominieren Zeichnungen mit Motiven aus Ovids Metamorphosen und die bekannten Minotaurus-Zeichnungen. Der Minotaurus, halb Stier, halb Mensch steht für Kraft, Männlichkeit. „Und der Minotaurus, das ist immer Picasso selbst“, erläutert Kuder-Broß die Zeichnungen. Ein Macho sei er gewesen. Doch die Frauen, immer jung, schön und intelligent, liebten ihn dennoch – oder deswegen? Fast schon Stoff für eine klassische Tragödie: Marie-Therese Walter, so Kuder-Broß, nahm sich vier Jahre nach Picassos Tod das Leben, seine letzte Frau Jacqueline erschoss sich gar 13 Jahre nach seinem Tod an seinem Grab.
Doch Picasso war auch ein politischer Kopf. Seine Abneigung gegen Franco und die Nationalsozialisten ist legendär, und in seinem berühmtesten Gemälde „Guernica“ festgehalten. In Nürtingen zu sehen ist eine Radierung mit dem Titel „Traum und Lüge Francos“, ein Werk aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs, in der er den Diktator in einer Art Comic lächerlich machte, ihn als Monster darstellte.
Mit der Picasso-Ausstellung hat es Brigitte Kuder-Broß wieder geschafft, in Nürtingen ein kulturelles Glanzlicht zu setzen, denn ohne Zweifel wird auch diese Ausstellung weit über die Stadt- und Kreisgrenzen hinaus für Aufsehen sorgen. Schon Hundertwasser, Dalí, Chagall und Miró lockten die Menschen in Scharen in die Kreuzkirche. Dass die Ausstellung ein Erfolg wird, zeichnet sich schon ab. „100 Erwachsenenführungen und 200 Kinderführungen sind bereits gebucht, die kulinarischen Führungen sind ausgebucht“, freut sich Nürtingens Oberbürgermeister Otmar Heirich. Und betont, dass die Ausstellung zwar überregionale Bedeutung hat, den Steuerzahler jedoch keinen Pfennig kostet. Sponsoren machen es möglich.
Ein gigantisches Werk habe das Jahrhundertgenie Picasso geschaffen, sagte Heirich, der zur Ausstellungseröffnung zahlreiche Prominenz aus Stadt und Kreis begrüßen konnte. Als Festredner konnte der OB den ehemaligen Nürtinger Kulturbürgermeister und heutigen Landtagspräsidenten Guido Wolf gewinnen – ebenfalls ein wahrer Glücksgriff, denn eloquent, witzig und auch ein wenig selbstironisch blickte Wolf zur Freude der Anwesenden auf seine Nürtinger Zeit und den großen Künstler Picasso. Die Stadt habe immer schon den Anspruch gehabt, kulturelle Akzente im Land zu setzen, sagte Wolf und sieht diesen Anspruch mit der Ausstellungsreihe erfüllt.
Der Höhepunkt für einen Landtagspräsidenten sei es, Festredner einer Picasso-Ausstellung zu sein. „Picasso – mehr geht nicht“, meinte er mit einem Augenzwinkern. Als späten Sohn der Göttin Athene sieht er den Künstler, als singulär. „Picasso prickelt. Wir bewundern ihn ganzheitlich“, gerät Wolf ins Schwärmen. Der Künstler habe die hergebrachten Regeln der Kunst, Kategorien wie „schön“ oder „hässlich“, überwunden. Picasso sei in keinem Stilmuster steckengeblieben, seine Gigantomanie sei nie langweilig. Wolf mutmaßt jedoch, dass es insgeheim des Künstlers Wunsch gewesen sei, sich mit den alten Meistern zu messen.
Rastlos sei er gewesen, ungeduldig, 30 000 Werke – manche sprächen von 50 000 – habe er geschaffen, sagte Wolf. Und diese Werke machten ihn reich. Von zahlreichen Künstlerkollegen sei er wegen seines Reichtums angefeindet worden, wie auch Brigitte Kuder-Broß erzählte. Ein Künstler hatte nicht reich zu sein. Ein Spagat ohnehin, als Kommunist auch Millionär zu sein.