Lesezeit (3): Beim Bookcrossing teilt man Bücher mit anderen - „Uns eint die Liebe zum Lesen“
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Bookcrossing, bei dem man Bücher mit anderen Menschen teilt, ist hierzulande noch relativ unbekannt. Doch auch in der Region rund um die Teck gibt es einige leidenschaftliche Bookcrosser.

Catrin Mielke (links) aus Kirchheim und Katrin Strobel aus Dettingen entlassen einige Bookcrossing-Bücher in die Freiheit: In Pl
Catrin Mielke (links) aus Kirchheim und Katrin Strobel aus Dettingen entlassen einige Bookcrossing-Bücher in die Freiheit: In Plastiktüten gehüllt und an Ästen festgebunden warten die Bücher darauf, gefunden zu werden. Foto: Jean-Luc Jacques

Kreis Esslingen. Auf dem Tisch im Stuttgarter Bistro „Astoria“ stapeln sich zahlreiche Reiseführer, Sachbücher, Romane, Thriller, Comics und dicke Geschichtswälzer. Die sechs Frauen und vier Männer, die alle einige Bücher mitgebracht haben, tauschen diese untereinander aus, jeder blättert interessiert in der neuen Lektüre.

Mit von der Partie ist an diesem Abend, an dem die „Bookcrosser-Szene“ aus dem Großraum Stuttgart zu ihren regelmäßigen Treffen zusammenkommt, auch Katrin Strobel aus Dettingen. Die 44-jährige Bürokauffrau hat vor sieben Jahren das Bookcrossing für sich entdeckt, bei dem man Bücher mit anderen Menschen rund um den Globus teilt.

Möglichkeiten dazu gibt es beim Bookcrossing viele: So kann man sich bei den Treffen mit neuem Lesestoff eindecken - oder aber man geht „auf die Jagd“ und sucht nach einem Buch, das ein anderer Bookcrosser irgendwo in der Öffentlichkeit abgelegt hat, zum Beispiel auf einer Parkbank, im Einkaufswagen eines Supermarkts oder an der S-Bahn-Station. Das Buch wurde zuvor im Internet auf www.bookcrossing.com registriert und ist mit einer Identifikationsnummer sowie einem Etikett mit der Aufschrift „Ich bin auf Reisen, nimm mich mit“ versehen. Anhand der Identifikationsnummer kann derjenige, der das Buch findet, im Internet nachschauen, wer es „frei gelassen“ und welche Reisen es schon erlebt hat. Außerdem kann er den anderen Bookcrossern mitteilen, wie ihm das Buch gefallen hat. Anschließend entlässt er es wieder in die Freiheit.

Katrin Strobel verweist noch auf eine weitere Form des Bookcrossing: auf die sogenannten Ringe - eine Art Büchertauschbörse. Dabei sammelt der Besitzer eines Buches, für das sich mehrere Bookcrosser interessieren, die Namen der Interessenten und sendet es dann per Post an die erste Leseratte im Ring. Nachdem diese das Buch gelesen hat, schickt sie es weiter - am Ende landet es wieder in den Händen des ersten Besitzers. „Natürlich gibt es dabei auch schwarze Schafe“, räumt Catrin Mielke aus Kirchheim ein, die sich ebenfalls dem Bookcrossing verschrieben hat. „Aber im Normalfall bekommt man sein Buch zurück - und zwar in erstaunlich gutem Zustand.“

Katrin Strobels Leidenschaft für Bookcrossing begann, als ihr Bruder im Prospektständer des Deutschen Fahrradclubs in Stuttgart auf ein französischsprachiges Buch stieß und es seiner Schwester mitbrachte. „Ich fand die Idee, dass andere Leute das Buch lesen und dann im Internet ihre Kommentare dazu hinterlassen können, superspannend“, erzählt Katrin Strobel, die sich sofort als Bookcrosserin registrierte und kurze Zeit später zahlreiche eigene Exemplare in die „freie Wildnis“ entließ. Ihr erstes Buch legte sie in einer Autobahnkirche in Baden-Baden ab, ein weiteres drückte sie in einem Lokal in Pforzheim kurzerhand einem verdutzten Mann am Nachbartisch in die Hand. Ihre Aktionen waren allerdings nicht von Erfolg gekrönt: In beiden Fällen verlor sich die Spur im Nichts.

„Für die Leute ist es einfach unüblich, dass jemand gibt, ohne nehmen zu wollen“, lautet Katrin Strobels Erklärung dafür, dass die Menschen eher misstrauisch auf Bookcrossing reagieren. Auch Catrin Mielke, die seit 2004 ihre Lektüre mit anderen teilt, bedauert dieses Verhalten: „Die Leute haben wahrscheinlich Berührungs­ängste und fragen sich: Ist das wirklich kostenlos?“ Allerdings seien nicht alle Buch-Entdecker skeptisch - so konnte sich die 31-jährige Ärztin vor allem zu der Zeit, als sie noch studierte und an der Uni in Ulm viele Bücher „frei ließ“, über eine große Erfolgsquote freuen.

„Es ist einfach reizvoll, Bücher weltweit auszutauschen. Man lernt dadurch Autoren und Themen kennen, auf die man sonst nie gekommen wäre“, betont Catrin Mielke, die durch Bookcrossing „ein ganz anderes Verhältnis“ zu Krimis und Co bekommen habe. „Früher standen sie jahrelang im Regal und nahmen Platz weg, heute kann ich sie mit anderen teilen.“ Zwar hat die Kirchheimerin natürlich Lieblingsexemplare, die sie nicht aus den Händen gibt. Doch das sind nur 15 Stück, alle anderen werden in Umlauf gebracht.

Auch die 62-jährige Claudia Maroska aus Kirchheim hat sich schon im Bookcrossing versucht. Allerdings gab die Lehrerin im Ruhestand auf, nachdem sie auf ihr am Stuttgarter Flughafen abgelegtes Buch keine Resonanz erhalten hatte. „Ich finde die Idee des Bookcrossing nach wie vor gut. Aber es machen einfach noch zu wenige.“ Vor zwei Jahren war sie in einem Parkhaus in Stuttgart auf ein Bookcrossing-Buch gestoßen. „Ich nahm es sofort mit, es war ,Mein Freund Jossele‘ von Ephraim Kishon“, erinnert sich die 62-Jährige.

In die freie Laufbahn entlassen werden beim Bookcrossing, das 2001 in den USA ins Leben gerufen wurde und das rund 900 000 Menschen aus über 130 Ländern betreiben, alle möglichen Bücher - von der Liebesschnulze über den Bewerbungsleitfaden bis hin zum Stuttgarter Kneipenführer. „Verpönt ist aber politische und kirchliche Propaganda“, unterstreicht Catrin Mielke, die meistens bei den Bookcrosser-Treffen in Stuttgart mit am „Stammtisch“ sitzt. Aber auch bei den Deutschland- und den weltweiten Treffen der Bookcrosser, die im vergangenen Jahr in Essen beziehungsweise in Amsterdam stattfanden, ist die 31-Jährige oft vertreten. „Es ist total spannend, die Leute kennenzulernen, mit denen man zuvor jahrelang nur im Internet kommuniziert hat. Da kam schon die eine oder andere Freundschaft zustande.“

Catrin Mielke hat bei den Treffen festgestellt, dass Bookcrosser aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten stammen. „Die Spanne reicht vom Kind bis zum Rentner und vom Arbeitslosen bis zum Akademiker. Aber sie alle eint die Liebe zu Büchern und zum Lesen.“ Für Katrin Strobel macht genau diese bunte Mischung den Reiz am Bookcrossing aus: „Bücher können so von möglichst vielen Menschen gelesen werden - auch von denen, die sich sonst vielleicht nicht regelmäßig neuen Lesestoff leisten könnten.“

 

INFO:

Der Teckbote und Bookcrosser aus dem Raum Kirchheim werden in den nächsten Wochen verstärkt Bücher in der Region rund um die Teck auf Reisen schicken. Also nicht wundern, wenn jemand einen Schmöker entdeckt . . .