Immobilienkonzept
Die Kirche muss umstrukturieren

Sinkende Mitgliederzahlen führen zu sinkenden Einnahmen. Die evangelische Kirchengemeinde plant daher, sich in Kirchheim, Ötlingen und Lindorf von Gebäuden zu trennen.

Wenn die Thomaskirche nicht mehr zur Verfügung steht, braucht die Vesperkirche einen anderen Standort.       Archivfoto: Carsten Riedl

Große Veränderungen stehen den Kirchen in Kirchheim bevor: Darüber hat der evangelische Gesamtkirchengemeinderat in einer Gemeindeversammlung informiert. Alle 27 Immobilien in der Kernstadt sowie in den Teilorten Ötlingen und Lindorf kommen demnach auf den Prüfstand, und dabei handelt es sich nicht nur um Kirchen, sondern auch um Pfarrhäuser, Gemeindehäuser oder Verwaltungsgebäude. Nicht alles wird die Kirche behalten können.

Es gibt eine Prioritätenliste, auf der sowohl die Immobilien stehen, an der die Gesamtkirchengemeinde weiterhin festhält, als auch diejenigen, von denen sie sich am ehesten trennen könnte. „Wir wissen, dass das schmerzhafte Einschnitte sind, weil sehr viele Erinnerungen und Emotionen mit den Gebäuden verbunden sind“, betonten die beiden Vorsitzenden des Gesamtkirchengemeinderats – Nina Fischer und Dekan Christian Tsalos – bei der Informationsveranstaltung in der Martinskirche.

Gebäude sind sehr, sehr wichtig. Aber sie sind nicht alles.

Dekan Christian Tsalos

Die Zahlen, die auch in einer Broschüre des Gesamtkirchengemeinderats zu finden sind, sprechen eine deutliche Sprache: Der Mitglieder-Höchststand datiert aus dem Jahr 1969. Damals gab es in Kirchheim – einschließlich Lindorf und Ötlingen – 18.870 Mitglieder der evangelischen Landeskirche. Seither ist die Zahl im Sinken begriffen. 2025 liegt sie bei rund 9.550, knapp über der Hälfte dessen, was vor 56 Jahren noch seelsorgerlich zu betreuen war.

Bis 2040 klimaneutral

Auch nach 1969 hat der Immobilienbestand der Gesamtkirchengemeine zugenommen. Rein rechnerisch heißt das: Von den 27 Gebäuden im aktuellen Bestand dürfte künftig allenfalls die Hälfte benötigt werden. Hinzu kommt das Problem, dass die meisten Gebäude in die Jahre gekommen sind, sodass umfangreiche Sanierungen anstehen. Dabei geht es nicht nur um die Bausubstanz selbst, sondern auch um die energetische Ertüchtigung – nach der Vorgabe der Landeskirche, dass alle Kirchengemeinden spätestens 2040 klimaneutral sein sollen.

Die Immobilien zu be- und erhalten, wäre also eine finanzielle Herkulesaufgabe – selbst ohne den Mitgliederschwund, der auf zwei Entwicklungen beruht. Zum einen wäre da der demografische Wandel: Wo weniger Kinder geboren werden, rücken auch deutlich weniger neue Kirchenmitglieder nach. Zum anderen ist der Säkularisierungstrend ungebrochen: Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Aus beiden Gründen sinken die Mitgliederzahlen und damit auch die Kirchensteuereinnahmen. Der Fall müsste demnach jedem klar sein: Mit weniger finanziellen Mitteln deutlich höhere Ausgaben für den Immobilienerhalt zu tätigen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Die Friedhofskapelle soll auch weiterhin zum Immobilienbestand der evangelischen Gesamtkirchengemeinde gehören. Foto: Andreas Volz

Im Prinzip haben das auch alle Anwesenden verstanden. Trotzdem gab und gibt es unterschiedliche Auffassungen – je nachdem, ob „meine“ Kirche oder „mein“ Gemeindehaus betroffen ist. Der Gesamtkirchengemeinderat bittet deshalb explizit darum, vom „Kirchturmdenken“ Abstand zu nehmen und auch nicht von „Gewinnern“ oder „Verlierern“ zu sprechen, weil die eine Kirche auch weiterhin als solche genutzt wird und die andere nicht.

Auch die Zahl der Pfarrstellen wird reduziert. Lag sie in Kirchheim (einschließlich der Dekansstelle) 2016 noch bei 750 Prozent, sollen es 2030 nur noch 375 Prozent sein, also genau die Hälfte. Es gibt dann nur noch drei volle Pfarrstellen: für „Kirchheim-West“, für „Kirchheim-Süd“ sowie für Ötlingen/Lindorf. Der Osten und der Norden sollen in Teilen durch Jesingen (25 Prozent) und Notzingen (50 Prozent) mitversorgt werden. Die Dekansstelle entfällt insofern, als die Dekanate Kirchheim und Nürtingen zusammengelegt werden sollen. Wo der künftige Sitz des neuen Dekanatamts sein wird, steht noch nicht fest.

Die Gründe für den Erhalt einer Kirche können unterschiedlich sein. Als Baudenkmal steht etwa der Martinskirche, der Christuskirche, der Ötlinger Johanneskirche und der Friedhofskapelle der Status als erhaltenswert zu. Ansonsten geht es um den Standort, den Bauzustand und den  Sanierungsbedarf einzelner Kirchen.

Längerfristig – also bis spätestens 2040 – aufgegeben werden sollen die Thomaskirche sowie die Lindorfer Matthäuskirche. Vor Ort sollen sich aber auch weiterhin Gruppen treffen können. Über den künftigen Standort der Vesperkirche, sobald die Thomaskirche nicht mehr zur Verfügung steht, ist noch nicht entschieden. Optionen wären die Martinskirche oder die Auferstehungskirche. Letztere soll zur „Jugend- und Eventkirche“ umgestaltet werden, weil auch das Jugendhaus „Z 35“ in der Zementstraße wegfällt.

Kooperation der Konfessionen

Christian Tsalos sprach von Kooperationen für die Nutzung von Räumen, etwa mit der Stadt oder auch mit der katholischen Kirche, die mit ihren Immobilien vor vergleichbaren Herausforderungen steht. In Ötlingen könnten beide Konfessionen künftig entweder das evangelische Gemeindehaus in der Hermann-Hesse-Straße oder das katholische Gemeindezentrum Peter und Paul, schräg gegenüber der Johanneskirche, gemeinsam nutzen.

Der Dekan stellte fest, dass Gebäude zwar „sehr, sehr wichtig“, aber eben „nicht alles“ seien. Er begründete die Notwendigkeit für die schmerzhaften Einschnitte beim Immobilienbestand mit einem biblisch anmutenden Gleichnis: „Bäume müssen beschnitten werden, damit sie wieder neu austreiben und wachsen können. Mal sehen, ob wir Ähnliches hinbekommen.“

 

Welche Gebäude sollen erhalten bleiben, welche sollen abgegeben werden?

Der Gesamtkirchengemeinderat und die Kirchengemeinderäte der Teilgemeinden Lindorf und Ötlingen haben das Immobilienkonzept – das dritte nach 2012 und 2018 – auf den Weg gebracht. Endgültig beschlossen werden soll es möglichst noch in diesem Jahr, bis spätestens Ende November. Die Gemeindeversammlung hatte den Zweck, die Gemeindeglieder zu informieren und Fragen zu beantworten. Beschlüsse fassen kann eine solche Versammlung nicht.

Erhalten bleiben sollen: Martinskirche einschließlich Albert-Knapp-Saal und Dekanatsgebäude als Verwaltungs- und Dienstleistungszentrum; Friedhofskapelle; Christuskirche einschließlich Ernst-Traub-Gemeindehaus und Kita Traub’sche Stiftung; Auferstehungskirche als Jugend- und Eventkirche; Johanneskirche Ötlingen einschließlich Räumen für die Gemeindearbeit; drei oder vier Pfarrhäuser (je nachdem, ob der Sitz des künftigen Dekanats in Kirchheim oder in Nürtingen sein wird): Lessingstraße (Ötlingen), Weisestraße, Ludwigstraße und/oder Liststraße.

Abgegeben werden: Thomaskirche (gesamter Gebäudekomplex); Matthäuskirche Lindorf (gesamter Gebäudekomplex); Gemeindehaus Schafhof; Jugendhaus Ziegelstraße 35; Pfarrhaus Beim Siechenkirchle (Kreuzkirche).

An allen Standorten, an denen sich die Kirche von Gebäuden trennt, sollen für die Fortführung der Gemeindearbeit vor Ort Räume gesucht werden, die in Kooperation genutzt oder angemietet werden können.

Was mit den Gebäuden tatsächlich geschieht, hängt vom Einzelfall ab: Sie können verkauft oder vermietet werden. Die Kirchengemeinde würde nach Möglichkeit die Grundstücke behalten und sie einer Erbpachtregelung zuführen wollen. vol