Kirchheim. Es ist eine Ausstellung, die mit hochästhetischen Anblicken aufwartet: In der Städtischen Galerie im Kircheimer Kornhaus zeigt Land-Art-Künstler Hama Lohrmann Foto-
grafien, die abschließende Zustände künstlerischer Arbeiten dokumentieren, die sich an unterschiedlichen Orten vollzogen haben. Unterschiedlich sowohl hinsichtlich Topografie und klimatischen Bedingungen als auch hinsichtlich des jeweiligen sozialen und kulturellen Milieus.
Grönland und Marokko, Lanzarote und die schottischen Highlands, dann wieder die Graubündner Alpen. An all diesen Orten – und es wären noch mehr zu nennen – ist Hama Lohrmann tätig unterwegs. Nicht als Tourist. Es geht ihm vielmehr darum, sich intensiv auf die spezifische Ausstrahlung, auf die charakteristische Stimmung einer Landschaft einzulassen. Wird ein solches Erleben dann zur inneren Resonanz, reagiert er darauf, indem er mit seinen künstlerischen Mitteln Spuren in der Landschaft hinterlässt. Spuren, die jedoch keine äußerlichen Eingriffe darstellen, sondern den Orten wesensgemäß sind und ihre individuellen Qualitäten hervorheben und intensivieren.
Dafür stets vor Ort gefundene Materialien zu verwenden, ist nicht allein logistischen Umständen geschuldet. Es ist vor allem Ausdruck der besonderen Haltung, die Hama Lohrmanns künstlerischen Umgang mit der Natur auszeichnet. Mit Respekt schreibt er seine Zeichen in sie ein, wobei er diese Arbeit als einen Zustand „gedankenloser Aufmerksamkeit“ beschreibt, die sich im Tun vollzieht. In ihrer ästhetischen Sprache schlägt die in der Galerie präsente Bodeninstallation aus heimischem Schiefer, Kalk und Holz zudem eine Brücke zu den an der Wand hängenden, fotografisch vermittelten Arbeiten des Künstlers.
Hama Lohrmann erläuft Landschaften. Er schafft „Laufwerke“, in denen er durch seine Fortbewegung Linien in der Landschaft zieht. So hat er auch dem Ausstellungsort Kirchheim eine seiner „Kreiswanderungen“ angedeihen lassen. Sichtbar werden diese Linien zwar erst auf dem zugehörigen Kartenmaterial. Die eigentliche Spur, die Hama Lohrmann mit seinen Laufwerken in der Natur schafft, wird aber noch auf einer anderen Ebene manifest.
Ein Mensch, der eine Landschaft mit wachem Bewusstsein durchmisst, nimmt sinnliche Eindrücke auf, die ihm einen neuen Gehalt an Erfahrungen und Erlebnissen zukommen lassen. Dabei kann es zu einem intensiven Austausch, zu einer regelrechten Wesensbegegnung zwischen Natur und Mensch kommen. Insofern ist es eine dankbare, geradezu liebevolle Geste der Zuwendung, wenn Hama Lohrmann aus dem Reichtum eines solchen inneren Erlebens etwas in die Natur zurückspiegelt, indem er dort künstlerische Prozesse in Gang setzt, Zeichen und Spuren sichtbar werden lässt.
Ambivalent ist das Aufscheinen menschlichen Zutuns innerhalb der Natur schon deshalb, weil sich hier unterschiedliche Zeithorizonte berühren: die Größe und Weite einer von Ewigkeitsanspruch umwehten Naturkulisse und die Flüchtigkeit menschlicher Spur darin. Andererseits zeigen die Arbeiten aber auf, dass der Mensch, indem er eine Landschaft möglichst umfänglich wahrnimmt, dazu fähig wird, die Natur erst ins Bewusstsein zu bringen, sie durch einen solchen Bewusstseinsakt – der als künstlerische Tat zu sehen ist – erst vom bloßen naturhaften Sein, ins konkrete Da-Sein zu heben. So wird die künstlerische Spur, das gesetzte Zeichen zum gemeinsamen Nenner zwischen Mensch und Natur.
Der künstlerische Umgang, den Hama Lohrmann den jeweiligen Orten angedeihen lässt und der vom Betrachter auf dem Wege der Fotografie nachvollzogen werden kann, führt den äußerlich gegebenen, geografisch definierten Ort über in einen inneren Zustand. Die sinnlich wahrnehmbare Topografie wird zur inneren Landschaft, die eben nicht mehr mit geodätischen Koordinaten zu fassen ist, sondern sich als konkrete Erlebnisqualität erfahren lässt, die in lebendigem, prozessualem Fluss befindlich ist, die den Betrachter formt, aber auch von ihm geformt werden kann.
Die Ausstellung ist noch bis einschließlich Sonntag, 3. Mai, im ersten Obergeschoss der Städtischen Galerie im Kornhaus zu sehen.
