Gedenkstunde
„Das Gedenken bleibt eine ständige Aufgabe“

An Euthanasieopfer soll in Kirchheim künftig mit Stolpersteinen gedacht werden.

Sie gedachten der Opfer zur Pogromnacht 1938 in Kirchheim. Foto: Florian Stegmaier

In der Nacht des 9. November 1938 brennen in Deutschland die Synagogen. Schlägertrupps verwüsten jüdische Geschäfte. Tausende Juden werden misshandelt, verhaftet oder getötet. An diesem Tag konnte jeder sehen, dass Antisemitismus staatsoffiziell geworden war. Dieses Datum markiert den Dammbruch, der zum größten Völkermord der Geschichte führte. Eine Gedenkstunde in der Kirchheimer Auferstehungskirche schlug Brücken in die Gegenwart. Dekan Christian Tsalos erinnerte an die Hetzjagd auf israelische Fußballfans vor wenigen Tagen in Amsterdam. Trotz des zeitlichen Abstands zur NS-Diktatur, trotz der Aufklärungsarbeit muss er feststellen: „Es ist nicht vorbei. Gedenken und Wehren bleibt eine ständige Aufgabe“.

Die Pogromnacht charakterisierte Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader als „Kampagne des Terrors“. Sie zeige, wozu eine Gesellschaft fähig sei, die Unrecht akzeptiere. Angesichts der Wiederkehr von Antisemitismus und Rechtsradikalismus gelte es, Zivilcourage und Mitmenschlichkeit zu stärken. Das Gebot „Nie wieder“ müsse fest in der gesellschaftlichen Mitte verankert werden.

Hartmut Schallenmüller und Thomas Meyer-Weithofer erinnerten an die Kirchheimer Familien Salmons und Bernstein: angesehene Mitbürger, deren Schicksale die systematische Ausgrenzung von Juden nach der NS-Machtübernahme veranschaulichen. Wer nicht wie Albert Salmons auswandern konnte, dem drohte zum sozialen Tod die physische Vernichtung. Selbst hochdekorierte Frontkämpfer wie Emil Salmons fielen dem Rassenwahn zum Opfer. Auch an Hulda und Jeanne Bernstein, deren Spuren sich mit ihrer Deportation nach Minsk verlieren, erinnern heute Stolpersteine.

 

Es ist notwendig, das Unrecht beim Namen zu nennen.

Delia Grünzweig

 

Thomas Stöckle, Leiter der Gedenkstätte Grafeneck, hat über die Opfer der Euthanasieverbrechen gesprochen. Eine von ihnen ist Bertha Meinzer, aufgewachsen in der Kirchheimer Herdfeldstraße. Wegen Depressionen wies man sie in die Heilanstalt Weißenau ein. 1940 wurde sie nach Grafeneck verbracht und dort am selben Tag ermordet. Knapp 11.000 Menschen mussten in der Gaskammer auf der Schwäbischen Alb in den Tod gehen. „Makabre Testläufe für Auschwitz“, wie es Markus Geiger vom evangelischen Bildungswerk in seiner Würdigung Meinzers nannte.

Dass 1938 ein Großteil der Bevölkerung passiv blieb, schrieb Delia Grünzweig dem lähmenden Gefühl der Machtlosigkeit zu. Als Schülerin des LUG hatte sie eine Seminararbeit über Antisemitismus verfasst und dabei von Brigitte Knehers Aufarbeitung jüdischer Geschichte profitiert. „Es ist notwendig, das Unrecht beim Namen zu nennen“, betonte Grünzweig. „Heute verfügten wir über die Stärke, Geschichte zu reflektieren.“

Bürgermeisterin Christine Kullen kündigte an, dass Stolpersteine künftig auch an Kirchheimer Euthanasieopfer erinnern werden. Sechs Stolpersteine sollen im kommenden Frühjahr verlegt werden. In der Oberen Steinstraße wird damit Angehörigen der Familie Vollweiler gedacht, denen noch rechtzeitig die Flucht in die USA und nach Argentinien gelungen war.