Fraktion vor Ort
Debatte ums Bürgergeld: „Gefühle“ versus „Daten und Fakten“

Eine Diskussionsveranstaltung der SPD sorgt in der Kirchheimer Linde für ausgiebige und teils emotionale Debatten um Regelsätze oder auch die Belastungen durch Lohnnebenkosten.

Das Podium der Bürgergeld-Diskussion, zu der die SPD-Bundestagsfraktion in die Kirchheimer Linde eingeladen hatte: Astrid Mast vom Jobcenter des Landkreises als externe Expertin sowie der Kirchheimer Abgeordnete Nils Schmid (stehend) und sein Tübinger Kollege Martin Rosemann.     Foto: Andreas Volz

Emotional stark aufgeheizt war die Debatte ums Bürgergeld, zu der die SPD im Rahmen der Reihe „Fraktion vor Ort“ in die Kirchheimer Linde eingeladen hatte – obwohl Kirchheims SPD-Bundestagsabgeordneter Nils Schmid „mehr über Daten und Fakten als über Gefühle“ reden wollte. Besonderen Wert legte er zudem auf die Feststellung, dass sich gesetzliche Bestimmungen jederzeit nachjustieren lassen, auch beim Bürgergeld: „Das ist ja nie abgeschlossen. Politik ist immer ,work in progress’.“

Über den Prozess, der zum Bürgergeldgesetz geführt hat, berichtete der Tübinger SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Rosemann: „Es ging uns darum, von einem positiven Menschenbild auszugehen.“ Dem Fachkräftemangel durch Einwanderung zu begegnen, sei das eine, „wir müssen aber auch das Potenzial derer heben, die schon hier sind, auch das von Langzeitarbeitslosen“.

Probleme seien häufig fehlende Berufsabschlüsse, oft sogar fehlende Schulabschlüsse, und zudem gesundheitliche Einschränkungen – „teils physisch, teils psychisch, teils beides“. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei eine Schwierigkeit, gerade bei Alleinerziehenden. Trotzdem sei es das Ziel des Bürgergeldgesetzes, „für alle einen produktiven Platz zu finden“. Die Integration in den Arbeitsmarkt solle nachhaltig erfolgen und nicht nach drei Monaten wieder abgebrochen werden.

Qualifizierung soll dazu beitragen, dass die Vermittlung dauerhaft gelingen kann. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Ausweitung der Ausbildungsförderung auf bis zu drei Jahre. Gerade die Probleme, die häufig zur Langzeitarbeitslosigkeit führen, hatten nämlich zur Folge, dass eine verkürzte Ausbildung eher kontraproduktiv war für eine erfolgreiche Qualifizierung.

„Arbeit soll sich lohnen“

„Arbeit und Anstrengung sollen sich lohnen“, sagte Martin Rosemann und stach damit in ein emotionales Wespennest, weil in der Öffentlichkeit oft genug die Meinung vorherrscht, dass es in der Realität anders aussieht. Rosemann nannte in diesem Zusammenhang die hohe Inflation, die auf den Ukrainekrieg und die stark steigenden Energiepreise zurückzuführen war: „Darauf mussten wir reagieren und den Regelsatz erhöhen. Aber es war nicht das Bürgergeld, das die Ukraine überfallen hat, sondern Putin.“

Aus der Praxis berichtete Astrid Mast, Geschäftsführerin des Jobcenters Landkreis Esslingen. An Zahlen aus dem Kreis nannte sie „17.500 Männer und Frauen, die Grundsicherungsleistungen erhalten“. Hinzu kämen in den Bedarfsgemeinschaften 8000 Kinder. Ihr Fazit nach bald 20 Jahren Hartz IV-Reformen: „Die Reduzierung der Hilfsbedürftigkeit ist gelungen.“ 

Auch sie gibt der Qualifizierung einen hohen Stellenwert: „Zwei Drittel unserer Kunden haben keinen Abschluss – und jeder, der einen Abschluss hat, hat dadurch weniger Risiko, arbeitslos zu werden.“ Deshalb achte das Jobcenter durch die Kampagne „Go ES“ vor allem auch darauf, dass kein Jugendlicher im Kreis verloren geht.

In seinem Fazit stellte Nils Schmid fest: „Das Bürgergeld kann nicht alle Probleme lösen. Es hilft uns weder gegen die knappe Wohnraumversorgung noch gegen das schwache Wirtschaftswachstum. Es beantwortet auch nicht die Frage, wie gerecht oder ungerecht die Lasten bei Steuern und Abgaben verteilt sind.“

Vorausgegangen waren diesem Fazit teils heftige Debatten mit dem Publikum – beispielsweise um den Krankenkassenbeitrag der Bürgergeldempfänger oder auch um Menschen, die nach Einschätzung von Menschen aus der Praxis eher „sinnlos in Maßnahmen geparkt werden“. Astrid Mast konnte und wollte diese Einschätzung aus ihrer eigenen Erfahrung nicht teilen: „Wir stellen sehr wohl Erfolge von Qualifizierungen fest.“

Martin Rosemann will an manchen Stellen durchaus selbst „mehr Druck“ auf Leistungsempfänger erzeugen: „Wer aber allein durch mehr Druck eine Million Menschen in Arbeit bringen will, der macht sich und anderen was vor. Wir werden in Deutschland immer auch Menschen haben, die sich dem Leistungsprinzip verweigern. Die können wir aber nicht verhungern lassen, und wir können sie auch nicht auf die Straße setzen.“ Zu den Lohnnebenkosten sagte er: „Wir haben in Deutschland zu hohe Abgaben – definitiv auch auf Arbeitseinkommen. Im Vergleich zu den USA haben wir aber nur geringe Steuern auf Vermögen und Kapital.“ – Die Debatte ums Bürgergeld hat also vor allem gezeigt, dass noch ganz andere Themen dahinterliegen, die immer mitdiskutiert werden.