Kunst
E-Pumpe setzt Kirchheim unter Strom

Sebastian Fleiter hat in der Max-Eyth-Strasse eine Strompumpe installiert. Das Projekt will nachhaltige Energieerzeugung thematisieren und für Elektrizität begeistern.

Sebastian Fleiter an seiner Strompumpe. Foto: Florian Stegmaier

Das Handy ist für mich ein Trojanisches Pferd“, sagt Sebastian Fleiter. Viele Leute würden nervös, wenn sie nur noch 20 Prozent auf dem Akku ihres Smartphones hätten, hat der Künstler beobachtet. Dieser digitalen Notlage begegnet er mit technischer Innovation und ästhetischem Kalkül. An der Kreuzung von Max-Eyth-Straße und westlichem Alleenring hat Fleiter eine knallgelbe Säule aufgestellt. Ein Hebel ist daran befestigt. Hier kann künftig Strom gepumpt werden. Eine ausgeklügelte Mechanik überträgt Muskelkraft auf einen Generator. Eine Steuerelektronik liefert Strom an USB-Anschlüsse, an denen Handys, Kameras und andere Lebensbegleiter geladen werden können.

Weitere E-Pumpen aus Fleiters Fertigung sind für das Stadtgebiet vorgesehen. Sie sind Teil des Projekts „Kirchheim unter Strom“, das der Kirchheimer Kunstbeirat in Kooperation mit der Stadt initiiert hat. Dabei geht es nicht nur um Ladevorgänge. Das spielerische Format der E-Pumpe wirkt bewusstseinsbildend. In allen Arbeiten Fleiters schwingt der Wille mit, Transparenz über das Phänomen Elektrizität zu schaffen und Menschen dafür zu begeistern.

Workshop am Ludwig-Uhland-Gymnasium

Für Schüler des Kirchheimer Ludwig-Uhland-Gymnasiums hat er unlängst einen Workshop angeboten. An der Elektrizität fasziniert ihn die Diskrepanz zwischen ihrer grundlegenden Bedeutung und dem geringen Wissen, das der durchschnittliche Verbraucher über sie hat. Ein problematischer Zustand, meint Fleiter: „Je weniger man über etwas weiß, desto leichter ist man zu manipulieren“. Seine E-Pumpe bringt abstrakte Größen in konkrete Bezüge: „Den Unterschied zwischen 10 Watt und 100 Watt merkt man spätestens wenn man Muskelkater hat“, schmunzelt Fleiter.

Anlässlich der feierlichen Enthüllung der Strompumpe würdigte Kirchheims Oberbürgermeister Dr. Pascal Bader Fleiters Generator als „erstes öffentliches Energiezentrum in der Innenstadt“. Indem die Strompumpe an die Funktionsweise alter Wasserpumpen anknüpfe, treffe in Fleiters Installation Historie auf Moderne. Den lokalgeschichtlichen Faden griff Kirchheims Stadtarchivar Dr. Frank Bauer auf. Zur Vorbereitung des Projekts hat er eine Energiegeschichte der Teckstadt verfasst. Erst mit Inbetriebnahme des Kirchheimer Bahnhofs habe Kohle als Energieträger Einzug gehalten. Bis dato war Wasserkraft die vorherrschende Ressource. Bauer verwies auf das westlich der Altstadt gelegene Gerberviertel und den Mühlkanal als „Kirchheims erstes Industriegebiet“. Da es außerhalb der Befestigungsmauer lag, wäre die Stadt im Belagerungsfall ohne Energie gewesen. Daher wurde im Zuge des Ausbaus zur Landesfestung die „Rossmühle“ errichtet. Zwischen Max-Eyth-Haus und Martinskirche gelegen, verfügte sie über ein Mühlrad, das von acht Pferden angetrieben wurde und die Mehlversorgung sicherstellen sollte. Vormodernes Krisenmanagement, das von Fleiters Installation aktualisiert wird.

Der Generator bringt Menschen zusammen - OB Bader und Jugendliche beim Strompumpen. Foto: Florian Stegmaier

Ohnehin ist es eine bestechende Qualität seiner Arbeiten, Kontexte zu erhellen, Gedanken in Fluss und Menschen ins Gespräch zu bringen. Der gelbe Generator erwies sich bereits bei seiner Enthüllung als sozialer Magnet. Und obwohl der Stromladeplatz digitaler Infrastruktur zuarbeitet, bietet er Entschleunigung im analogen Hier und Jetzt. Waren die Wasserpumpen einst kommunikative Orte, lädt auch Fleiters Strompumpe zum Austausch, zum Hinterfragen ein. Denn hinter der scheinbaren Selbstverständlichkeit, Strom aus der Steckdose beziehen zu können, stehen komplexe Zusammenhänge. Bedenkliche mitunter. Etwa die ökologischen Bedingungen, unter denen die akku-relevanten Rohstoffe Lithium und Graphit gewonnen werden. Oder die Arbeitsbedingungen beim Wirtschaftsriesen Foxconn, der den Großteil unserer Smartphones produziert. Gehaltvolle Themen für den engagierten Plausch an der Strompumpe.

Informationen zum Projekt „Kirchheim unter Strom“ findet man unter www.kirchheim-unter-strom.de

 

Sebastian Fleiter, geboren 1971 in Hamburg, arbeitet als Künstler, Designer, Entrepreneur und Berater in unterschiedlichsten Kontexten. Nach seiner Ausbildung zum Bühnenbildner studierte er an der Kunsthochschule Kassel bei Professor Rob Scholte, Professor Björn Melhus und Professor Joel Baumann. 2007 gründete er sein künstlerisches Label „Atelier Fleiter“. Er hat sich neben der künstlerischen Produktion auf Kommunikationskonzepte, Produkte und Projekte spezialisiert, die Energie und Nachhaltigkeit thematisieren.