Hommage
Ein Fotograf als Mahner und Zeitzeuge

Eine Ausstellung in der Kirchheimer Stadtbücherei würdigt das Schaffen von Kai Wiedenhöfer. Der in Kirchheim aufgewachsene Fotograf ist Anfang des Jahres unerwartet verstorben.

Ulf Wiedenhöfer und Kunstbeirätin Monika Schaber vor einem Panoramafoto Kai Wiedenhöfers aus der Serie Confrontiers. Es zeigt eine Grenzbarriere im nordirischen Belfast. Foto: Florian Stegmaier

Er gehört zu den Großen seiner Zunft. Mit der Kamera hielt er fest, wie politische Konflikte sichtbar werden: in offener Gewalt, durch Zerstörung von Kulturgütern oder in der Errichtung martialischer Grenzbauten. Überraschend ist Kai Wiedenhöfer Anfang dieses Jahres im Alter von 57 Jahren verstorben.

Dem international bekannten und vielfach ausgezeichneten Fotografen widmet seine Heimatstadt Kirchheim eine Ausstellung in der Stadtbücherei. Im Gespräch mit Monika Schaber vom Kirchheimer Kunstbeirat brachte Ulf Wiedenhöfer den Eröffnungsgäs­ten Werk und Person seines Bruders nahe. Der Fall der innerdeutschen Grenze war für Wiedenhöfer ein Erweckungserlebnis – künstlerisch wie politisch. Eigentlich hätte er im Herbst 1989 seine erste Vorlesungswoche an der Folkwang-Schule in Essen antreten sollen. Kurzentschlossen fährt er stattdessen nach Berlin, um Zeuge des historischen Moments zu werden: „Damals dachten wir, wir haben jetzt eine freie Welt, grenzenlos. Mauern und Zäune wird es nicht mehr geben“, blickte Wiedenhöfer später auf die Euphorie der Wiedervereinigung zurück. Dass es anders kam, dokumentiert sein Schaffen in ebenso eindringlicher wie vielfältiger Weise: „Kai Wiedenhöfers Bilder machen spürbar, wie brutal Zäune, Mauern und Sperranlagen überall auf der Welt in die Freiheit der Menschen eingreifen“, würdigte der Nachruf im „Stern“ das Vermächtnis des Fotografen. Bei aller dokumentarischen Nüchternheit schlagen Wiedenhöfers Bilder emotionale Brücken, rücken die Menschen ins Bild, die unter den Konflikten leiden. Neben dem Mauerfall war die wachsende Ausgrenzung der Palästinenser im Westjordanland ein zweiter wichtiger Bezugspunkt für Wiedenhöfer.

 

Wiedenhöfers Bilder machen spürbar, wie brutal Zäune, Mauern und Sperranlagen in die Freiheit der Menschen eingreifen.

schreibt das Magazin „Stern“ in einem Nachruf auf den Anfang dieses Jahres verstorbenen Fotografen 

 

Seine Reportage „Die Palästinenser – ein Volk im Ghetto“ wurde 1998 mit dem renommierten Hansel-Mieth-Preis ausgezeichnet. Eines seiner eindrücklichsten Bilder entstand am Strand von Gaza-Stadt: Das Porträt eines lachenden Jungen nach dem Rückzug der israelischen Armee ist Teil der Serie „Perfect Peace“. In Gaza traf Wiedenhöfer auch das Gummigeschoss eines israelischen Scharfschützen, als er eine Beerdigung fotografierte. Eingeschüchtert hat ihn das nicht. Immer wieder kehrte er dorthin zurück. Sein im Steidl-Verlag erschienener Band „The Book of Destruction“ dokumentiert die Verheerungen des ersten Gazakriegs von 2008/2009.

Dass Wiedenhöfer in Palästina und Syrien, wo er kurz nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges unterwegs war, den Menschen so nahekommen konnte, verdankte er seinen profunden Arabischkenntnissen. Völkerverbindende Erlebnisse gab es auch mit der israelischen Seite. An einer Straßensperre im Westjordanland begegnete er dem israelischen Soldaten Ofer Marx. Marx fiel die Flagge Baden-Württembergs auf, die an Wiedenhöfers Motorrad flatterte. Es stellte sich heraus, dass die Familie des Soldaten von der Schwäbischen Alb stammt, aus Buttenhausen, dessen jüdisches Leben im Holocaust ausgelöscht worden war.

Beeindruckend ist die Anzahl der Preise und Stipendien, mit denen Wiedenhöfer ausgezeichnet wurde. Doch dem Fotografen, den Weggefährten als „stillen Arbeiter“ schätzten, war nicht am Ruhm gelegen. Die Preisgelder waren Mittel zum Zweck. Sie verschafften ihm die Freiheit, unabhängig vom journalistischen Tagesgeschäft den eigenen Projekten nachzugehen. „Wenn er von einem Projekt überzeugt war, dann war er ebenso ungeduldig wie ausdauernd“, ist im Stern-Nachruf zu lesen.

Ohne Hartnäckigkeit wäre ein derart großes Unterfangen wie „Wall on Wall“ auch nicht möglich gewesen. Riesige, drei mal sieben Meter große Panoramafotos von Grenzbauten waren 2013 an der Berliner East Side Gallery zu sehen. 2016 zeigte Wiedenhöfer seine Folgeausstellung „War on Wall“ über den Krieg in Syrien ebenfalls auf der Berliner Mauer. Im selben Jahr erhielt er die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschrechte. Parallel erschien der Band „Syrian Collateral“, der wie die meisten Publikationen Wiedenhöfers im Göttinger Steidl-Verlag erschienen ist.

Die Ausstellung kann bis zum 24. August während der üblichen Öffnungszeiten der Kirchheimer Stadtbücherei besucht werden.