Beruf
Günter Riemer hört Anfang Januar auf

Kirchheims Erster Bürgermeister hat im Gemeinderat angekündigt, dass er seine Versetzung in den Ruhestand beantragt. 20 Jahre lang war er in der Verwaltungsspitze der Stadt tätig.

Günter Riemer an seinem Schreibtisch. Nach 20 Jahren als Erster Bürgermeister der Stadt Kirchheim will er sich Anfang Januar in den Ruhestand verabschieden. Das hat er gestern dem Gemeinderat mitgeteilt.      Foto: Markus Brändli

Nach 20 Jahren soll Schluss sein: Kirchheims Erster Bürgermeister Günter Riemer hat am gestrigen Mittwoch im Gemeinderat verkündet, dass er auf 2. Januar 2025 seine Versetzung in den Ruhestand beantragt. Das ist sein 64. Geburtstag. Im persönlichen Gespräch mit dem Teckboten beantwortet er die selbstgestellte Frage, warum er aufhören will: „In diesem Beruf gibt es eine enorm hohe Belastung – physisch und auch psychisch. Das geht auf Dauer an die Substanz.“ Eine Covid-Erkrankung sowie eine langwierige Schulterverletzung hätten ihn zum Nachdenken gebracht. Das Ergebnis: „Es geht irgendwann darum, das Leben dem Alter anzupassen.“

Ich spüre einen großen Vertrauensverlust gegenüber dem Staat.

Günter Riemer zu einer wesentlichen Veränderung in der Gesellschaft

 

Sein Beruf verlange „Energie und Leidenschaft“. Folglich lasse sich dieser Beruf nur so lange richtig ausüben, wie die Energie ausreicht. Viele Entwicklungen sind es, die im Lauf der Jahre dazu beigetragen haben, dass diese Energie nachlässt. Es gehe ihm auch darum, „mehr für die Familie da zu sein“. Allzu oft und allzu lange habe die Familie hinter dem Beruf zurückstehen müssen.
 

Mehr reagieren als agieren

Die Arbeit selbst habe sich stark verändert, seit er vor 24 Jahren seine erste Dezernenten-Stelle in Calw angenommen hat. Zuvor war er Leiter des Tiefbauamts in Schorndorf gewesen. „Mit der ersten Flüchtlingskrise 2015 hat es begonnen, dass sich die Aufgaben verschieben. Eine Stadtverwaltung muss immer stärker reagieren, anstatt zu agieren. Gestalterisches Arbeiten ist kaum mehr möglich.“

Günter Riemer sieht auch eine wesentliche gesellschaftliche Veränderung: „Die Menschen, für die wir arbeiten, sind immer unzufriedener mit unserer Arbeit. Ich spüre einen großen Vertrauensverlust gegenüber dem Staat.“ Soziale Medien trügen ihren Teil dazu bei, dass sich solche generellen Unzufriedenheiten immer schneller und immer unreflektierter verbreiten: „Da werden komplexe Themen in drei Halbwahrheiten zusammengefasst und so weitergegeben.“ Immer mehr werde es deshalb zur Aufgabe einer Stadtverwaltung, ihr Handeln öffentlich zu erklären – „und zwar nicht fachspezifisch, sondern auch für Laien verständlich“.

Als Schwerpunkt seiner Aufgaben bezeichnet es der „gelernte“ Bauingenieur, „eine funktionierende Infrastruktur in dieser Stadt bereitzustellen“. Diese Infrastruktur sei aber kein Selbstzweck, sondern immer „Mittel zum Zweck, dass eine Stadtgesellschaft funktionieren kann“. Als einen der Erfolgsfaktoren dafür sieht er den Kirchheimer Gemeinderat an: „Der Gemeinderat hatte bisher immer ein großes Interesse am Gelingen und ist dabei immer ideologiefrei vorgegangen.“ In den Diskussionen könne man sich inhaltlich reiben, ohne deswegen in einen persönlichen Streit zu geraten: „In unserer Gesellschaft müssen alle dazu beitragen, dass sie gelingt.“

Was zunehmend schwieriger werde, sei die Suche nach geeignetem Personal: „Wir haben hochmotivierte Leute bei der Stadt, aber leider sind es in manchen Berufsbildern einfach zu wenige.“ Das gelte insbesondere für die technischen Berufe: „Das beginnt schon mit der Ausbildung. Da wird viel zu wenig ausgebildet.“

Wie es mit seiner Stelle weitergeht, kann Günter Riemer derzeit nicht sagen: „Das ist Sache des Gemeinderats. Das Gremium muss klären, wie es mit der Organisation der Verwaltung weitergehen soll. Dann wird die Stelle ausgeschrieben. Ich persönlich halte es für wichtig, dass jemand mit technischem Sachverstand und mit planerischen Ideen kommt, der es versteht, auch politisch in einem Gemeinderat zu agieren.“

Als Dezernent sei man auch sehr schnell eine öffentliche Person: „Das kannte ich schon von meinen früheren Tätigkeiten und auch von meinem ehrenamtlichen Engagement im Radsport.“ Dem Thema Radfahren will er sich auch weiterhin widmen – in der Arbeitsgemeinschaft Fahrrad- und Fußgängerfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg. Auf diese Art kann er sich und seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen weiterhin einbringen.

Eins stellt er im Rückblick auf seine zu Ende gehende Berufslaufbahn in verschiedenen Stadtverwaltungen fest: „Fertig ist man nie. Eine Stadt ist immer in Bewegung, und täglich kommt was Neues.“ So gesehen gibt es keinen idealen Zeitpunkt, um aufzuhören. Ideal ist es, wenn man trotzdem aufhört – bevor es möglicherweise zu spät ist.