Bei der Amtseinführung im Gottesdienst in der Kirchheimer Martinskirche sah Christine Schneider sehr glücklich aus. „Hier kommt zusammen, was zusammengehört, Kirche und Diakonie, Wort und Tat“, sagte sie. Da konnte die Diakonin und Sozialarbeiterin Tanja Herbrik nur voll zustimmen: „Kirche und Diakonie gehören für mich zusammen.“ Dass sich beide die Geschäftsführung des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen teilen, mit jeweils 60 Stellenprozenten, ist das Ergebnis eines längeren Prozesses.
Als ihr Vorgänger Eberhard Haußmann im September in den Ruhestand ging, war klar: Er hinterlässt große Fußstapfen. Eine Nachfolge zu finden, bei der in einer einzigen Person kirchliche Verwurzelung und Managementqualitäten zusammenkommen, die das ganze breite Spektrum alleine abdecken kann, gelang auch nach intensiver Suche nicht. So entwickelte sich die Idee einer Doppelspitze. „Eberhard Haußmann kam auf uns zu“, sagt Herbrik. Bisher hatte sie im Kreisdiakonieverband die Fachbereichsleitung „Armut und Beschäftigung“, dazu gehören die Diakonie- und Tafelläden und andere Beschäftigungsprojekte. Für die Läden bleibt sie auch weiterhin zuständig, mit ihren anderen 40 Stellenprozenten.
Auch Christine Schneider kommt aus dem eigenen Haus: Sie war Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle Filder, dort wird aktuell eine Nachfolge gesucht, und sie hatte die Fachbereichsleitung für die Schuldnerberatung, diese wird sie fortführen. Die Geschäftsstelle der beiden ist in Kirchheim, in der Alleenstraße 74.
Von dort aus sind sie im ganzen Landkreis unterwegs: Der Verband arbeitet sehr dezentral, mit vielen Standorten. So fällt kaum auf, wie groß das Unternehmen ist: Zu rund 120 Hauptamtlichen kommen über 100 engagierte Ehrenamtliche und mehr als 60 Arbeitsgelegenheiten in den Diakonie- und Tafelläden. Die beiden Geschäftsführerinnen haben sich die Aufgaben nach Kirchenbezirken und Fachbereichen aufgeteilt. Schneider ist für die Kirchenbezirke Kirchheim und Bernhausen zuständig, Herbrik für die Kirchenbezirke Esslingen und Nürtingen.
Zugleich gibt es eine Aufteilung nach Fachbereichen: Schneider hat den Diakonischen Grunddienst, die Sozialpsychiatrie, die Schuldnerberatung, den Familienentlastenden Dienst (FED) und den Integrationsfachdienst (IFD) übernommen. Herbrik ist neben den Diakonie- und Tafelläden für die beiden Psychologischen Beratungsstellen in Esslingen und auf den Fildern, die Suchtberatung und die Prostitutionsberatung verantwortlich. Zu zweit haben sie einen großen Vorteil: Ihr Vorgänger musste manchmal an einem Abend hintereinander zu mehreren parallelen Bezirkssynoden eilen. Seine beiden Nachfolgerinnen teilen sich auf. „Wir vertreten einander“, sagen beide.
Ohne Kirchensteuer geht nichts
Ihre Aufgabe haben sie bereits zum 1. Oktober übernommen. Und schon lange vorher nahm sie ihr Vorgänger in immer mehr Vorgänge mit hinein. „Für ihn war so vieles selbstverständlich“, sagt Herbrik. Fragt man die beiden nach ihren Sorgen, gelten diese zum einen der Finanzierung der vielen Arbeitsbereiche. „Oft sind die Personalkosten staatlich finanziert, aber nicht das ganze Drumherum“, sagt Herbrik. Ohne Kirchensteuermittel ginge da gar nichts, die Anträge und Nachweise für EU-Fördermittel sind ein enormer Aufwand. Auch das gesellschaftliche Klima schmerzt: „Wir wollen den gesellschaftlichen Diskurs offenhalten. Es ist eine Herausforderung, für alle da zu sein.“
Wie wichtig die Arbeit der beiden Frauen ist, unterstrich der Kirchheimer Dekan Christian Tsalos. Der Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen sei der größte Kreisdiakonieverband der württembergischen Landeskirche. Er biete Hilfe für Menschen jeden Alters, unabhängig von der Herkunft, dem Geschlecht und der Religion.
Für Haußmann ist der Kreisdiakonieverband ein Erfolgsmodell. Er könne zum Vorbild für die ganze Kirche werden, sagte er beim Ständerling. Seine Vision: statt vier Kirchenbezirke ein „Evangelischer Kirchenkreis Esslingen“ für den gesamten Landkreis.
Zum Verhältnis von Staat und Religion
Auf der Basis dessen, was der Apostel Paulus etwa 60 nach Christus an die Christen in Rom über die „Obrigkeit“ schrieb, setzte sich Dekan Tsalos mit dem Verhältnis von Kirche und Staat auseinander. Er verwies auf die „schlimme Wirkungsgeschichte“ dieser Verse: Sie hätten den preußischen Untertanengeist befördert und Christen vom Widerstand gegen die Nazis abgehalten – wenn doch alle Obrigkeit von Gott eingesetzt worden sei. Doch er erläuterte auch den Hintergrund, vor dem Paulus schrieb, und warnte vor dem damals schon drohenden Rückzug aus der Gesellschaft. „Der christliche Glaube will nicht die Anarchie. Auch Kirchen sind auf ein funktionierendes Gemeinwesen angewiesen.“
Paulus habe klar zwischen Staat und Kirche unterschieden, Martin Luther habe dies dann weiter ausgeführt. „Das ist eine heilsame Trennung. Der Staat folgt einer eigenen Logik und seinen eigenen Gesetzen.“ Negative Gegenbeispiele seien der Iran und Nordkorea: Im Iran hätten die religiösen Führer auch die politische Macht, in Nordkorea schreibe sich der Führer auch religiöse Qualitäten zu. pd

