Diktatur
Holocaust: Erinnerung ist wichtig – auch für überlebende Opfer

Stolpersteine erzählen von Kirchheimern, die einst der nationalsozialistischen Willkür ausgeliefert waren.

Drei Stolpersteine in der Kirchheimer Alleenstraße erinnern an Verwandte von Renate Reutlinger. Foto: Andreas Volz

Kirchheim. Nicht nur Ronnie Breslow ist eine Zeitzeugin des Nationalsozialismus in Kirchheim. Auch ihre Kindheitsfreundin Marianne Dahner kann darüber berichten: Den Elftklässlern des Schlossgymnasiums erzählt sie, dass sie die Gemeinschaft im Bund Deutscher Mädel (BDM) durchaus genossen hat, solange es dabei einigermaßen unpolitisch zuging: „Singen, Basteln und Sport, das alles hat dazugehört. Sport habe ich besonders gern gemacht.“ Aber sie fügt hinzu: „Wir hatten damals eine Diktatur. Ich musste da ja auf jeden Fall hingehen, sonst wäre ich abgeholt worden.“

Den Erfolg des Nationalsozialismus begründet sie aus damaliger Sicht auch mit der wirtschaftlichen Lage und mit der hohen Arbeitslosigkeit, ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise 1929: „In meinem Elternhaus gab es keine großen Diskussionen über Politik. Wichtiger war es, wie man genug zum Essen bekommt.“ Vom Aufschwung nach 1933 habe ihr Vater ganz direkt profitieren können: Er hat beim Autobahnbau neue Arbeit gefunden.

Antisemitischer Propaganda war Marianne Dahner vor allem in der Schule ausgesetzt: Sie erinnert sich noch heute an Hetzparolen, die ihre Lehrer gebrüllt haben. Auch deshalb hält sie es für wichtig, über den Nationalsozialismus zu sprechen – um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt.
 

Steine im Straßenpflaster als Zeichen der Erinnerung

Fester Bestandteil der heutigen Erinnerungskultur sind die Stolpersteine – auch in Kirchheim. Neben Renate Reutlingers Elternhaus in der Alleenstraße, wo sich heute die Gaststätte „Wilder Mann“ befindet, gibt es drei solcher Stolpersteine. Sie erinnern an Hannchen Reutlinger und an ihre Zwillingssöhne Gerd und Rolf. Sie waren verwandt mit Renate Reutlinger und hatten bei deren Eltern Unterschlupf gefunden. Alle drei haben den Holocaust nicht überlebt.

Was mittlerweile neu diskutiert wird, ist die Möglichkeit, auch für Überlebende Stolpersteine zu verlegen, denn Opfer des Holocaust waren und sind auch sie. In Kirchheim zählen dazu Mitglieder der Familie Vollweiler, aber auch Renate Reutlinger und ihre Eltern Gustav und Elly. Lise Marlowe, die in Philadelphia Renate Reutlingers Geschichte in Heftform herausgebracht hat, ist ganz begeistert von der Idee, dass es in Kirchheim Stolpersteine für die Überlebenden der Familie Reutlinger geben könnte: „Ronnie wird nicht mehr nach Kirchheim reisen können. Aber ich möchte an ihrer Stelle unbedingt persönlich vor Ort sein, sollten diese Steine verlegt werden.“ ​