Streitthema
In der „Fachwerkstadt“ Kirchheim wird das markante Wachthaus verputzt

Eines war den Kirchheimer Stadträten quer durch alle Fraktionen vorab klar: Der Aufschrei in der Bevölkerung wird groß sein. Dass die Kirchheimer an ihrem Fachwerk-Wachthaus hängen, ist nämlich allen klar. Dennoch wird es nun verputzt. Dafür gibt es gute Gründe. 

Wer von der Dettinger Straße in die Stadt kommt, wird vom markanten Wachthaus begrüßt, seit jeher ein Fachwerkhaus. Wirklich? Eben nicht: Früher war das Haus, in dem zuletzt Restaurants betrieben wurden, verputzt.  Foto: Carsten Riedl.

Das war knapp: Eine einzige Stimme gab letztlich den Ausschlag dafür, dass das Kirchheimer Wachthaus nach seiner Sanierung verputzt wird. Ein Riss geht bei diesem Thema durch den Gemeinderat und sogar durch einzelne Fraktionen. Ebenso zerrissen oder gar schockiert wird die Bevölkerung reagieren, mutmaßten die Räte.

Die Emotionen kochen hoch bei diesem Thema. Architekt Professor Peter Cheret, der das Sanierungskonzept im Ratsrund vorstellte, hielt ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, das Wachthaus in seinen Urzustand zu versetzen. Entstanden ist das markante Gebäude nämlich nicht wie viele andere nach dem großen Stadtbrand von 1690,
 

Ich garantiere: Das Gebäude wird
später sogar noch öfter fotografiert.

Architekt Peter Cheret auf den Hinweis von Stadtrat Kreyscher,
das Wachthaus sei nach dem Rathaus das am häufigsten fotografierte Haus.

 

sondern 1829, mitten im Klassizismus. „Der Klassizismus steht für Aufbruch“, erläuterte Cheret und sieht in dieser Ära die Grundlage des heutigen Denkens. Damals habe generell eine Abkehr von Repräsentation stattgefunden. Auch das Fachwerk im Wachthaus sollte nie sichtbar sein und wurde verputzt. 

So entschied man sich seinerzeit nicht für harte Eiche, sondern für weicheres Nadelholz. – Leider, aus heutiger Sicht. Denn Nadelholz bedarf einer schützenden Hülle. Doch 1957 wurde es freigelegt. Die Quittung liegt vor: Das Haus ist marode. Einige Balken bezeichnete der Fachmann schon als „kompostiert“, ein Großteil ist massiv geschädigt, gerade mal 30 Prozent können gerettet werden.

Eine Sanierung mit Putz kommt deutlich billiger und stellt eine Rückführung auf die klassizistische Stilepoche dar. Auch die Folgekosten sind niedriger, da bei Erhalt des sichtbaren Fachwerks regelmäßige Unterhaltsmaßnahmen Vorschrift sind. Satte 4,4 Millionen Euro wird auch die günstigere Entscheidung kosten. Der Architekt strebt in Kooperation mit dem Landesdenkmalamt eine möglichst originalgetreue Sanierung an.

All das tröstet die Entscheidungsträger nicht: „Der Aufschrei wird groß sein“, fürchtete CDU-Vertreter Dieter Hoff. Er bedauerte die gemeinderätliche Entscheidung, das Haus in städtischem Besitz zu behalten. „Die Menschen lieben das Fachwerkwachthaus“, meinte Hans-Peter Birkenmaier von den Freien Wählern. Ulrich Kreyscher (FDP/KiBü) bezeichnete das Kulturdenkmal als Kleinod und gab zu bedenken, dass selbst das Rathaus früher einmal verputzt gewesen sei.

Manfred Machoczek, Fraktionsführer der Grünen, bezeichnete das Fachwerkwachthaus sogar als „ein Stück Heimat“. Dennoch sei er froh, nun dazugelernt zu haben. Heinrich Brinker (Kirchheim.Sozial) fasste die Zwickmühle des Gemeinderats zusammen: Sollte er sich für das – günstigere – historische Original entscheiden oder dem – vermuteten – Bürgerwillen nachkommen?

Für Andreas Kenner (SPD) war dies keine Frage: „Die Leute kommen wegen dem Fachwerk nach Kirchheim, nicht wegen klassizistisch verputzter Gebäude“, argumentierte der Hobby-Stadtführer leidenschaftlich für den Erhalt des jetzigen Anblicks. Das Fachwerk ersetze viel Marketing. „Schaffen wir unseren Titel als Fachwerkstadt ab?“, fragte auch Gerd Mogler (CIK) in die Runde und schlug ironisch als Alternative „Verputzte-Häuser-Stadt“ vor. 

Nach den ausgesprochen kontroversen Statements ergriff noch einnmal der Architekt das Wort, der selbst in einem Fachwerkhaus lebt: „Hier geht es um Respekt vor der eigenen Geschichte“, beharrte er auf der Empfehlung pro Putz. Beim Wachthaus müsse die Wahrhaftigkeit der Stadt und die historische Authentizität im Vordergrund stehen. Hier spiegele sich überdeutlich die „europäische Stadt“, eine ganz besondere Erscheinung, die in der Kunstgeschichte gepriesen werde. Oberbürgermeister Bader zeigte sich von dieser Argumentation überzeugt und betonte, die Verwaltung schlage nicht aus Geldgründen, sondern aus Überzeugung das Verputzen vor.

 

Mit einer Mehrheit von 15 zu 14 Stimmen bei 5 Enthaltungen lehnte der Gemeinderat den Antrag von Andreas Kenner (SPD) ab, das Wachthaus mit sichtbarem Fachwerk wiederherzustellen. Darüber hinaus wurde der Generalsanierung gemäß der Entwurfsplanung zugestimmt inklusive einer überplanmäßigen Ausgabe in Höhe von 1,4 Millionen Euro. Läuft alles glatt, kann ein neuer Pächter im April 2026 einziehen.