Wie kann eine Gesellschaft aussehen, die nicht länger auf grenzenloses Wachstum setzt – und dennoch Wohlstand und Gerechtigkeit sichert? Der Wiener Politikwissenschaftler Professor Dr. Ulrich Brand stellte sich diese Frage in seinem Vortrag im katholischen Gemeindehaus St. Ulrich.
Der renommierte Globalisierungskritiker und Mitautor des Buches „Kapitalismus am Limit“ sprach über die Zukunft unserer Wirtschafts- und Lebensweise – und darüber, warum diese an ihre ökologischen, sozialen und politischen Grenzen stößt. Brand machte klar, dass er keine Untergangsstimmung verbreiten, sondern eine realistische Bestandsaufnahme vornehmen wolle. „Wir sehen heute, dass der Kapitalismus an einem Punkt angekommen ist, an dem seine bisherige Logik nicht mehr trägt – das grenzenlose Wachstum stößt an Grenzen“, erklärte er. Es seien „multiple Krisen“, die zusammenwirken: Klimawandel, Artensterben, soziale Spaltung, politische Polarisierung.
Ein zentrales Stichwort war die „imperiale Lebensweise“. Sie kennzeichnet den global ungleichen Charakter unseres Wohlstands: „Was wir hier als alltäglichen Lebensstandard betrachten, beruht auf der Ausbeutung von Arbeitskraft, Natur und Rohstoffen in anderen Weltregionen“, so Brand. Diese Lebensweise galt lange als selbstverständlich, stößt nun aber an physikalische, ökologische und moralische Grenzen.
Kritisch äußerte sich der Referent zum Konzept des „grünen Kapitalismus“. Die Hoffnung, das bestehende Wirtschaftssystem könne durch technologische Innovationen und Effizienzsteigerungen nachhaltig werden, hält er für trügerisch. „Der grüne Kapitalismus ist der Versuch, die Welt zu retten, ohne sie zu verändern“, sagte Brand. Solartechnik, Recycling und Energieeffizienz seien zwar wichtig, aber wirkungslos, solange Wachstumslogik und globaler Konkurrenzdruck bestehen.
In diesem Zusammenhang sprach Brand von „öko-imperialen Spannungen“ – neuen Formen globaler Ungleichheit, die im Zuge der ökologischen Transformation entstehen. Während im globalen Norden „grüne Modernisierung“ als Fortschritt gilt, tragen viele Länder des Südens die ökologischen und sozialen Kosten der Rohstoffgewinnung. „Wir sehen, dass auch die Energiewende auf alten Mustern der Ungerechtigkeit aufbaut“, so Brand. „Eine wirklich nachhaltige Transformation muss auch eine gerechte sein.“
Zudem rückte er die politischen Folgen in den Blick. Wachsende Unsicherheit und Wohlstandsverlust begünstigten autoritäre Reaktionen: „Wenn Veränderung als Bedrohung erlebt wird, dann wächst die Versuchung, auf Kontrolle, statt auf Demokratie zu setzen.“ Damit seien nicht nur rechte Bewegungen, sondern auch technokratische Klimapolitik gemeint. „Echte Transformation gelingt nur demokratisch und solidarisch – sonst vertiefen wir die Krise, statt sie zu lösen.“
Abschließend lenkte Brand den Blick auf solidarische Perspektiven – Ansätze, die bereits heute Alternativen sichtbar machen: Energiegenossenschaften, solidarische Landwirtschaft, Gemeinwohlökonomie, Arbeitszeitverkürzung, soziale Bewegungen. „Wir brauchen keine großen Heilsversprechen, sondern viele kleine Schritte, die gemeinsam eine neue Richtung ergeben.“ Brands Fazit: Echte Zukunftsfähigkeit entsteht nur, wenn ökologische Vernunft und soziale Gerechtigkeit zusammen gedacht werden. Alles andere wäre bloß ein grüner Anstrich für alte Widersprüche.

