Jubiläumsjahr
Kirchheimer Lehren aus dem Aufruhr

Der neue Schriftenreihenband des Stadtarchivs liegt vor. Er fasst das Gedenken an den Bauernkrieg vor 500 Jahren zusammen. Seine Vorstellung bildet zugleich den Abschluss der Veranstaltungsreihe.

Was hat der Bauernkrieg mit Kirchheim zu tun – und welche Lehren lassen sich 500 Jahre später aus dem Geschehen des Jahres 1525 ziehen? War die Erinnerung im Jubiläumsjahr etwa geprägt durch folkloristische Verklärung, durch Rollenspiele und Freude am Verkleiden? Buntes Jahrmarktstreiben also zur Volksbelustigung? Letzteres würde immerhin gut in die Zeit der Renaissance passen. Possenspieler waren zu allen Zeiten beliebt.

Bei der Buchvorstellung von Band 40 aus der Schriftenreihe des Stadtarchivs, der sich ausschließlich mit dem Bauernkrieg befasst, fand Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader einleuchtende Parallelen zwischen 1525 und 2025: „Wie geht man damit um, wenn die gesellschaftliche Ordnung plötzlich bedroht ist, wenn Grundprinzipien infrage gestellt werden? Vor 500 Jahren war das der Fall: Unsagbares wurde gesagt, Undenkbares wurde gedacht.“

Letztlich setzt sich die Freiheit durch.

Pascal Bader zieht ein optimistisches Fazit des Bauernkriegs

Zwei Lehren wollte er daraus ziehen: „Gewalt schafft auf Dauer keine Ruhe. Gewalt schafft vielmehr Gegengewalt.“ Ideen ließen sich nicht mit Waffen bekämpfen. Auch heute gebe es wieder vermehrt den Wunsch nach freier und unabhängiger Existenz – und Freiheit habe auch mit Meinungsfreiheit zu tun. Die zweite Lehre: „Letztlich setzt sich die Freiheit durch.“ Das Streben nach Gerechtigkeit und Selbstbestimmung lasse sich nur zeitlich begrenzt unterdrücken. Aber trotzdem werde nichts von alleine gut: „Die einmal erkämpfte Freiheit ist nicht automatisch für alle Zukunft gesichert. Sie muss verteidigt werden, denn auch heute ist die Freiheit wieder stark bedroht – weltweit.“

Freiheit – rein theologisch? 

In seiner Eigenschaft als Hausherr in der Martinskirche ging Dekan Christian Tsalos auf den Beitrag Martin Luthers zum Bauernkrieg ein. Mit seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ habe Luther seine Zeitgenossen zunächst dafür begeistert, sich gegen ihre Obrigkeit zu wenden. „Luther schlug sich dann aber auf die Seite der Obrigkeit, die er als von Gott eingesetzt verstand.“ Deshalb habe er seine „furchtbaren Worte“ in der Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ veröffentlicht, in denen er fordert, die aufständischen Bauern „wie einen tollen Hund“ zu erschlagen. Von der „hohen theologischen Leistung Luthers in seiner Freiheitsschrift“ sei es nicht weit gewesen bis zu seinem „großen Versagen vor der politischen Realität“.

Auf den Rückblick des Jahres 2025 auf 1525 in Kirchheim blickte Bürgermeisterin Christine Kullen zurück: Unterstützt durch viele Bilder aus dem Jubiläumsjahr berichtete sie von den Fachvorträgen im ersten Halbjahr, von der Wanderung auf die Teck zum Jahrestag ihrer Zerstörung, vom Theaterstück „Die Teck muss weg“ in der Stadthalle oder auch von der Veranstaltung „Uffrur on the Road“ auf dem Kirchheimer Marktplatz. Ihr Fazit: „Der Bauernkrieg hatte sehr viel mit Kirchheim zu tun – und fürs Jubiläumsjahr 500 Jahre später ließ sich doch sehr viel daraus machen, in Zusammenarbeit mit vielen Kooperationspartnern.“

Stadtarchivar Frank Bauer stellte den Band vor, der durch „gut lesbare, erstklassige wissenschaftliche Beiträge“ besteche und deshalb in keiner Universitätsbibliothek fehlen dürfe, der aber andererseits den Text des Theaterstücks einschließlich vieler Szenenfotos biete. Dadurch soll das Buch auch in der Breite „möglichst viel Resonanz bekommen“.

Bilder sind bereits das Thema des ersten Beitrags, aus der Feder des Graphikers Wolfgang Dick. Er hat nicht nur die Figuren gestaltet, die Kirchheim durch das Jubiläumsjahr begleiteten. Er hat auch zeitgenössische Graphiken unter die Lupe genommen, denn der Bauernkrieg war vor 500 Jahren auch ein Medienereignis.

Frank Bauer selbst bezeichnet die „Zwölf Artikel“ aus Memmingen als „einen frühen Bestseller“. Sie seien in einer Gesamtauflage von zwölftausend Exemplaren erschienen. Die große Bedeutung Luthers für den Bauernkrieg will er zwar nicht in Abrede stellen. Er sieht aber auch von der alten Eidgenossenschaft einen immensen Einfluss ausgehen.

Was sich in Kirchheim abspielte, hat Rosemarie Reichelt herausgearbeitet: Nicht nur den Adelberger Pfleghof – das einzige Gebäude, das während des Bauernkriegs in Kirchheim zerstört worden war – hat sie am Standort des heutigen Vogthauses lokalisiert. Auch die Unterkunft der Hauptleute benennt sie klar: Die Bauernkanzlei war am heutigen Marktbrunnen, an der Ecke Marktstraße / Flachsstraße. Ein Ergebnis des Bauernkriegs sei außerdem der Ausbau Kirchheims zur Landesfestung gewesen, den Herzog Ulrich keine zehn Jahre später in Angriff nahm.

Im neuen Band der Schriftenreihe dreht sich alles um den Bauernkrieg in Stadt und Amt. Foto: Andreas Volz

Dem „komplexen Thema der Strafverfolgung“ habe sich Svenja Galla gewidmet. Bei den Vergehen, die in Urfehden aufgeführt sind, handelt es sich demnach häufig um Wilderei, wildes Fischen, aber auch um „schändliche Rede“. Da ist sie wieder, die Frage nach der Meinungsfreiheit, als Parallele zur heutigen Zeit.

Parallelen hat man zu allen Zeiten gezogen. Das ist die Frage, die Steffen Seischab besonders interessiert: Wie hat die Geschichtsschreibung, insbesondere im 19. Jahrhundert, den Bauernkrieg jeweils aus der eignen Perspektive heraus interpretiert – vor allem die zentrale Figur Matern Feuerbacher, einen der Anführer, der übertriebene Gewalt ablehnte und daher die Teck verschonen wollte?

Um die Zerstörung der Teck geht es wiederum im Theaterstück von Jörg Ehni, das dem Publikum die ferne Zeit von1525 emotional näherbrachte. In dem Stück schildern zwei Bauern die Ereignisse aus ihrer Sicht, erzählen aber auch von ihren persönlichen Hoffnungen und Erwartungen.

„Schlager“ von 1525 und 2025

Der Stadtarchivar erwartet sich vom neuen Schriftenreihenband – dem ersten seit 2019 –, dass er sich zum Verkaufsschlager entwickelt. Deshalb brach er seine Vorstellung der einzelnen Beiträge auch immer an den spannendsten Stellen ab, versehen mit dem running gag: „Sie sollen das Buch ja auch kaufen und lesen.“

In der Martinskirche wurde die Zeit des Bauernkriegs auch musikalisch in Szene gesetzt: Der Kirchheimer Kammerchor unter der Leitung von Ralf Sach stellte damalige „Schlager“ vor, darunter auch ein Lied von Martin Luther: „Die beste Zeit im Jahr ist mein.“ Sein war diese Zeit sicherlich, und er hatte mitten im Bauernkrieg vielleicht sogar tatsächlich seine persönlich beste Zeit: 1525 heiratete er Katharina von Bora.