Wenn Stefan Sauter Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte zeigt, hat das viel mit Erinnerung zu tun. Mit dem Blick ins eigene Archiv. Mit den Zeitfenstern, die sich in den Werken öffnen. Und mit dem Gedankenfluss, den die Kunst beim Betrachter in Gang setzt.
Die eigene Produktion wandhängend aufzufächern, heißt, ein Zeittableau aufzuspannen. Manch Kurioses, mitunter Zufälliges erwacht, das den Bildern einst als ästhetischer Generator diente. Doch eine Retrospektive ist das nicht. Sauters Bilderstrom durchschneidet die Zeitschichten. Gerade das älteste Exponat rührt am Nerv der Gegenwart. Im Februar 1981 fand sich Sauter unversehens in den Wirren des Militärputsches in Spanien wieder. Als leidenschaftlicher Fotograf hatte er schon damals die Kamera dabei. Doch der Film blieb zunächst vergessen. Erst 30 Jahre später ließ ihn Sauter entwickeln. Unterdessen hatte die Alchemie der Filmrolle den eingebrannten Bildern zu pinkfarbener Tönung verholfen. Heute erinnert die Fotoserie „23-F“ daran, wie brüchig Freiheit und Demokratie sind.
Nach dem Studium an der Stuttgarter Kunstakademie bei Dieter Groß, Horst Bachmayer und K. R. H. Sonderborg führte Sauters beruflicher Weg ans Nürtinger Max-Planck-Gymnasium, wo er seit 1993 als Kunsterzieher unterrichtet. Nürtingen brachte ihn in Austausch mit Hildegard Ruoff, eine der prägendsten Persönlichkeiten der regionalen Kunstszene. „Nichts erwarten ist meist erhalten“ hat ihm die 99-Jährige anvertraut. Der lebenskluge Aphorismus kann als Leitmotiv über Sauters Kunst stehen. Denn viele seiner Fotoarbeiten verdanken sich Konstellationen einzelner Aufnahmen, die rational nicht zwingend sind, ästhetisch aber Mehrwert schaffen. Sauter lichtet keine spektakulären Motive ab. Wie im Vorbeigehen fängt seine Kamera Konturen, Farben und Schlaglichter urbaner Szenen ein. An der Galeriewand gerinnen sie zu Geschichten.
Technischen Defekten erteilt der Künstler gestalterische Mitsprache. So zeichnete ein kaputter Verschluss helle Linien ins Foto. Sauter erhebt das Defizit zur grafischen Intervention: „Manchmal passiert ein Missgeschick und es entsteht Schönheit daraus“.
Wertvolle Fehlversuche gehören auch zur Reihenproduktion im Schichtbetrieb. Etwa im Überschreiben und Übermalen von Karteikarten einer aufgelösten Schulbibliothek. Relikte eines ehrwürdigen Datenspeichers, den die Zeit überholt hat. Rasanten Wandel macht Sauters dynamisch akzentuierter Zugriff gestisch lesbar. Zugleich weist die Fokussierung aufs kleine Format seine Grafiken als Orte intimen Rückzugs aus. Sauters Arbeiten verschließen sich nicht dem Toben der Welt. Ihren Betrachtern bieten sie gleichwohl Ankerpunkte: zum Innehalten, zur Rückschau und zur weiteren Standortbestimmung.
Info
Die Ausstellung „Stefan Sauter: Im Vorbeigehen – zweidimensionale Arbeiten der letzten 25 Jahre“ ist bis einschließlich 19. März im Kirchheimer „Artspace Wieweg“, Wieselweg 7, zu sehen. Sie ist geöffnet dienstags von 14 bis 18 Uhr und mittwochs von 9 bis 13 Uhr sowie nach Anmeldung unter claudia@wieweg.org .