Vor-Ort-Besuch
Mehr Freiheiten – weniger Regulierung

Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha ist auf Sommertour und lässt sich beim Verein „Gemeinsam statt einsam“ die Arbeit in der Demenz-WG im Kirchheimer Steingau-Quartier zeigen.

Engagiert in der Diskussion: Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha im Kirchheimer Steingau-Quartier.   Foto: Markus Brändli

Sommertour von Manne Lucha: In Kirchheim machte sich Baden-Württembergs Minister für Soziales, Gesundheit und Integration ein Bild von der Arbeit in einer Demenz-WG. Im Steingau-Quartier gab es beim Verein „Gemeinsam statt einsam“ einen Einblick in das Zusammenleben von acht Menschen, die an Demenz erkrankt sind – und in die Betreuung, die sie von ganz unterschiedlichen Kräften erfahren. Gemeinsames Singen und Musizieren gehörte zum Auftaktprogramm: einerseits, weil es die Gemeinschaft fördert und den Gesprächseinstieg erleichtert, andererseits aber auch, weil es zeigt, wie wichtig Musik und Lieder sind, um Orientierung in der Welt zu finden, wenn sich der Verstand zunehmend zerfasert.

Beim späteren Gespräch mit Vertretern des Vereins wurde beiderseits kein Blatt vor den Mund genommen, und das ist auch der Sinn eines solchen Austauschs: Für den Minister ist es wichtig, zu erfahren, wo genau an der Basis der Schuh drückt, und vor Ort ist es wichtig, bei „denen da oben“ Gehör zu finden. Noch wichtiger: Es war ein Gespräch auf Augenhöhe, an dessen Ende der Minister nicht mit Lob für die Organisatoren der Demenz-WG sparte: „Ihr seid konzeptionell gut – aber ihr seid auch beseelt.“

Möglichst individuelle Pflege

Letzteres war nicht nur so dahingesagt. Es war vielmehr Ausdruck dessen, um was es im Gespräch ging: Manne Lucha betonte immer wieder, wie bedeutend individuelle Angebote sind, mit möglichst flexiblen Modellen. Manfred Kurz, Geschäftsführer der beiden WGs des Kirchheimer Vereins „Gemeinsam statt einsam“, hatte genau wegen dieser Flexibilität zu Beginn der Veranstaltung das Lied „Die Gedanken sind frei“ angestimmt und darauf verwiesen, dass die Gründung der ersten WG – vor 19 Jahren in der Hindenburgstraße – aus der Freiheit der Gedanken entstanden war. Vier Töchter waren auf der Suche nach der bestmöglichen Versorgung für ihre Mütter gewesen und gründeten zunächst den Verein und einige Zeit später die WG.

Manne Lucha zollte dieser Leistung den gebührenden Respekt: „In dieser Zeit war es noch die Frage, ob das Ordnungsrecht so etwas überhaupt vorsieht, von der leistungsrechtlichen Thematik ganz zu schweigen. Heute sind wir da ein großes Stück weiter – aber immer noch nicht da, wo wir eigentlich hinwollen.“ In den Demenz-WGs soll es nach Ansicht des Ministers um ein möglichst hohes Maß an Autonomie für die Bewohner gehen. Grundsätzlich will er sich dafür einsetzen, weniger zu regulieren: „Die beste Qualitätskontrolle ist Transparenz.“

Damit rennt er beim Vereinsvorstand offene Türen ein. Auch Geschäftsführer Manfred Kurz beklagt eine gewisse „Regulierungswut“. Natürlich seien Regelungen sinnvoll, etwa beim Brandschutz. Aber wenn es in einer WG ab neun Personen plötzlich ein eigenes Bad für je zwei Personen geben soll, widerspreche das dem Prinzip der häuslichen Wohngemeinschaft. Ähnlich sieht er es für die Nachtwachen, wenn zwei WGs in unmittelbarer Nachbarschaft liegen – auch wenn das bei „Gemeinsam statt einsam“ so gar nicht der Fall ist: „Es wäre sicher kein Problem, wenn eine einzige Person die Nachtwache für zwei WGs gleichzeitig übernimmt.“

Der eigentliche Sinn der Regelung, die solche „Doppel-Nachtwachen“ bislang nicht erlaubt, ist die Furcht vor Missbrauch – dass also das Heimgesetz ausgehebelt werden könnte, indem ein Heim einfach in mehrere WGs aufgeteilt werden würde. Trotzdem will sich Manne Lucha für mehr Freiheit und Flexibilität einsetzten – unter Voraussetzung der Transparenz. Er begründet das folgendermaßen: „Trotz der Gefahr des Missbrauchs sollten wir nicht allen Trägern sofort mit einem generellen Misstrauen begegnen.“

Das sieht er auch für die Leitungen von Pflegeeinrichtungen – ob es nun Heime sind oder WGs: „In der Leitung braucht es Management im besten Sinn – indem möglichst viel delegiert wird.“ Das stärke die Eigenständigkeit und damit auch die Zufriedenheit von Pflege- wie auch von Betreuungskräften. Eigenverantwortung sei ohnehin in der Pflege weit verbreitet, weil über 80 Prozent der Pflegebedürftigen nach wie vor zuhause versorgt werden.