Kirchheim
Neue Wohngemeinschaften sind im Kommen

Stadtentwicklung Immer mehr Menschen rund um die Teck können sich vorstellen, in Cluster-Wohnungen oder Senioren-WGs zu leben. Das spüren auch die Bauträger in der Region. Von Bianca Lütz-Holoch

Auf Dauer alleine leben? Das wollen immer weniger Menschen. Entsprechend verzeichnen Bauträger und Bauunternehmen aus der Region ein wachsendes Interesse an neuen Wohnformen. „Gemeinschaftliches Wohnen hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen“, sagt Hans-Peter Birkenmaier, Geschäftsführer des gleichnamigen Dettinger Wohnbauunternehmens. Eine Eigendynamik beobachtet er in der näheren Umgebung bisher zwar nur in Kirchheim, vor allem in Steingauquartier. Immer mehr regt sich aber auch im Umland Interesse. „Das Phänomen strahlt aus“, hat er festgestellt. In letzter Zeit kamen beispielsweise Anfragen aus Dettingen, Weilheim und Hochdorf.

 

Das Phänomen strahlt aus.
Hans-Peter Birkenmaier
erhält immer mehr Anfragen zu neuen Wohnformen aus dem Umland.

 

Aktuell arbeitet Hans-Peter Birkenmaier an der KiWi, der Kirchheimer Wohnidee. Dahinter versteckt sich ein gemeinschaftliches Wohnprojekt von Alleinstehenden und Paaren im Alter zwischen 55 und 70 Jahren, die sich über einen Freizeittreff der Familien-Bildungsstätte Kirchheim kennengelernt haben. Gemeinsam mit ihnen hat Birkenmaier ein Konzept für ein Mehrfamilienhaus erarbeitet, das neben sieben Wohnungen auch gemeinsam genutzte Räume beinhaltet und im Herbst kommenden Jahres bezugsfertig sein soll.

„Senioren und werdende Senioren sind eine der drei großen Zielgruppen beim gemeinschaftlichen Wohnen“, so Birkenmaier. Sie wollen der Einsamkeit im Alter vorbeugen und setzen auf gegenseitige Hilfe. Eine zweite Gruppe bilden Familien und Alleinerziehende. „Es ist ideal, wenn man berufstätig ist und jemand anders mal das Kind abholen oder betreuen kann.“ Nicht zuletzt eignen sich betreute Cluster-Wohnungen oder Wohngemeinschaften für Menschen mit Handicap, etwa an Demenz erkrankte Senioren oder Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen.

Kleine Wohngruppen sind im Trend

Mehrere solcher Projekte hat die Firma Dyck Bauen und Wohnen in den vergangenen Jahren in Kirchheim umgesetzt. „Bei erwachsenen Menschen mit Behinderung geht der Trend zu kleineren Wohngruppen“, hat Marketingleiterin Inge Mess festgestellt. Zwei solcher Wohngruppen sind in Kooperation mit der Lebenshilfe Kirchheim jetzt auch im Steingauquartier entstanden. Das Motto lautet: „So autonom wie möglich und so viel Betreuung wie nötig“, sagt Inge Mess. Das gilt gleichermaßen für die Demenz-Wohngruppe, die der Verein „Gemeinsam statt einsam“ über dem „Café Mittendrin“ betreibt. 

Mischung zwischen Ferienwohnung, Hotel und WG

Aber es existieren auch noch andere Formen gemeinschaftlichen Wohnens. Dazu gehören die Stadt-Apartments in der Friedrich-Tritschler-Straße in Kirchheim. „Wir bieten Wohnen auf Zeit in möblierten Apartments mit Gemeinschaftsräumen an“, sagt Steffen Rudolph vom Bauwerk Rudolph in Kirchheim. Diese Mischung aus Hotel, Ferienwohnung und WG spricht eine breite Zielgruppe an – ob nun die Lehrerin im Vorruhestand, den Junggesellen, den Firmen-Trainee oder die Auslandspraktikantin. Insgesamt sieben Ein-Zimmer-Apartments mit Küchenzeile und Bad beherbergt die 300 Quadratmeter große Cluster-Wohnung. „Für alle gemeinsam gibt es außerdem eine große Küche mit Esstisch, eine TV-Lounge und eine Dachterrasse“, so Rudolph. Vermietet werden die Einheiten für maximal zwei Monate, eine Verlängerung ist möglich. „Die Apartments sind von Anfang an ausgebucht gewesen“, geht Steffen Rudolph auf die enorme Resonanz ein.

So gut die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens klingt, sie hat auch einige Haken. „Gemeinschaftliche Fläche kostet natürlich Geld“, sagt Hans-Peter Birkenmaier. Jeder Bewohner einer Cluster-Wohnung zahlt also nicht für seinen privaten Bereich, sondern anteilig auch für das gemeinsame Wohnzimmer oder die Gemeinschaftsküche. „Diese Räume müssen dann auch wirklich genutzt werden, damit sich das lohnt.“ Über seine Stadtapartments sagt Steffen Rudolph: „Wirtschaftlich ist das für uns nicht besonders attraktiv.“ Die Reinigung der Buchungswechsel, die Kautionen – der Verwaltungsaufwand ist hoch. In anderen Fällen kann gemeinschaftliches Wohnen dagegen Kosten sparen. „Ein Platz in einer Demenz-WG ist beispielsweise günstiger als ein Platz im Pflegeheim“, sagt Inge Mess. 

Toleranz und Offenheit als Voraussetzungen

Der zweite Knackpunkt: „So ein Projekt passt nie für alle perfekt“, stellt Mess klar. Toleranz und Offenheit, die Bereitschaft zum Teilen und Kompromisse zu schließen sind deshalb zwingende Voraussetzungen. Sonst kann der Traum des Zusammenlebens schnell zum Albtraum werden.

Fest steht für die Bauträger: Das gemeinschaftliche Wohnen ist erst richtig im Kommen. So plant Hans-Peter Birkenmaier in der näheren Umgebung bereits weitere Projekte wie etwa eine Cluster-WG speziell für Alleinerziehende mit Kindern. „Da werden in den nächsten Jahren noch viele spannende Dinge entstehen“, ist er überzeugt. 

Info Als Cluster-Wohnungen bezeichnet man große Wohnungen, die aus mehreren abgeschlossenen, kleineren Wohnungen sowie gemeinschaftlich genutzten Räumen bestehen. Sie ermöglichen den Bewohnern Gemeinschaft, aber auch den Rückzug ins Private. Die einzelnen Wohneinheiten verfügen über ein eigenes Bad und meist eine kleine Küche. Gemeinschaftsräume sind oftmals eine große Küche, ein Wohnzimmer, eine Wohnküche oder auch nur eine Werkstatt.

Die Stadt setzt auf Quartiere und neue Wohnformen

Das Kirchheimer Steingauquartier ist ein städtebauliches Vorzeigeprojekt. Es zeichnet sich unter anderem durch die soziale und bauliche Vielfalt aus. Ganz bewusst hat die Stadt Kirchheim dort auch auf neue Wohnformen gesetzt. „Wir freuen uns sehr darüber, dass die Entwicklung von gemeinschaftlichen, nachbarschaftlichen Strukturen dort so gut funktioniert“, sagt Robert Berndt, Sprecher der Stadt Kirchheim.

Vor Ort in den Quartieren, wo die Menschen leben, spiegeln sich aktuelle Herausforderungen wie demografischer Wandel, Urbanisierung und Klimawandel wider. „Gemeinschaftliches Wohnen spielt nicht zuletzt im Alter eine immer wichtigere Rolle“, sagt Robert Berndt. Als Beispiele nennt er die Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz in der Hindenburgstraße und der Otto-Mörike-Straße des Vereins „Gemeinsam statt einsam“ oder die Pflege-WG unter der Trägerschaft von „Wohnvielfalt“ in der Rosa-Heinzelmann-Straße.

Im Quartier Güterbahnhof Ötlingen soll eine ähnlich vielfältige Struktur entstehen. „So wie im Steingauquartier auch gibt es dort ein offenes Konzeptverfahren“, erläutert Robert Berndt. Das heißt, es sind verschiedene, auch gemeinschaftliche Wohnformen willkommen. Das Projekt ist Teil der „StadtLabore vor Ort“: Es fließen also Erkenntnisse zur inklusiven Quartiersentwicklung aus dem Projekt „StadtLabore“ des Städtetags Baden-Württemberg im Rahmen der Landesstrategie „Quartier 2030“ ein.