Einen Bundesminister „zum Anfassen“ hat der SPD-Bundestagskandidat Nils Schmid im Kirchheimer Waldhorn präsentiert: Beim Plaudern mit Finanzminister Jörg Kukies ging es zunächst um Sport, ist der Nachfolger von Christian Lindner doch bekennender Anhänger von Mainz 05. An das erste Bundesligaspiel erinnert sich der einstige Bankmanager und heutige Politiker mit Grausen: „Das war eine 2:4-Klatsche gegen den VfB Stuttgart.“ Für Jürgen Klopp, den damaligen Mainzer Trainer, ist er voll des Lobes: „Der ist ganz entspannt und bodenständig. Dass er sich als ,the normal one’ bezeichnet hat, kann ich nur bestätigen.“
Übers Bier ins Kanzleramt
Auch er selbst tritt unprätentiös auf. Zur Politik kam er wie die Jungfrau zum Kind: „Nach einem Basketballspiel habe ich mich bei einem Bier mit Thorsten Schäfer-Gümbel unterhalten – auch über meine Juso-Zeit. Er hat gefragt, ob ich nicht von der freien Wirtschaft in die Politik wechseln wolle.“ Lange Zeit habe er nichts mehr gehört – bis eines Tages eine Nachricht von einer unbekannten Nummer kam. Es war Olaf Scholz, der ihn mit dieser Nachricht als Staatssekretär ins Bundesfinanzministerium holte. Als Scholz Kanzler wurde, nahm er den Staatssekretär mit ins Bundeskanzleramt.
Seit November ist er nun der Nachnachfolger seines „Chefs“ als Bundesfinanzminister. Auf die Frage, ob er den Posten gerne längerfristig innehaben würde, antwortet er diplomatisch: „Ich kann und will nichts ausschließen. Aber das hängt von der Wahl am Sonntag ab – und von den Koalitionsverhandlungen danach.“ Das Amt aber hält er für „extrem faszinierend“. Das Ministerium sei „ein tolles Haus, mit tollen Mitarbeitern“.
Trotz aller Zurückhaltung kann der Minister in der Sache auch hartnäckig sein: „Staaten haben keine Freunde, sondern Interessen. Also muss man ruhigbleiben und verhandeln – egal, mit wem.“ Zu Donald Trump sagt er: „Der will einfach mal einen raushauen, die Parameter verschieben und schauen, wie der andere reagiert.“ Genau deshalb gehe es darum, auch dem US-Präsidenten sachlich und ruhig zu begegnen.
Sachlich setzt sich Kukies auch mit den Fachfragen auseinander, die ihm sein Parteigenosse Nils Schmid stellt. Nicht mit jeder Antwort würde man sofort rechnen. „Die Schuldenbremse ist gar nicht so schlecht“, sagt der Bundesfinanzminister. „Von der Schuldenquote her sind wir innerhalb der G 7 an der Spitze, also diejenigen mit den geringsten Schulen. Das hat uns in den Krisen sehr geholfen – bei Corona und auch nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs.“
Die Vermögens- oder auch die Erbschaftssteuer hinterfragt er kritisch: „Viele Vermögen sind in Betrieben gebunden. Wenn wir die zu hoch besteuern, nehmen wir den Unternehmen die Anreize für Investitionen.“ Auch bei der Erbschaftssteuer fordert er „hohe Freibeträge“ und fügt hinzu: „Das Vererben des eigenen Hauses sollte nicht besteuert werden.“
In der Infrastruktur sieht er „einen unglaublichen Investitionsbedarf“ und zählt Brücken, Straßen, Kindergärten, Schulen sowie Hochschulen auf. Außerdem müsse Europa sehr viel mehr Geld in die Verteidigung investieren.
„Zuverlässige Kinderbetreuung ist ein Mittel gegen den Fachkräftemangel“, stellt Kukies fest. In diesem Fall setzt er zusätzlich auf das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. „Trotzdem müssen wir auch das Potenzial in Deutschland nutzen – durch konsequente Qualifizierung und Weiterbildung.“
„Sinnlose Berichtspflichten“
Beim Bürokratieabbau hadert er mit „sinnlosen Berichtspflichten“ und erzählt von einem Bäcker, der jetzt mit seinen 40 Mitarbeitern auch noch umfangreich nachweisen soll, dass für die Bohnen des Kaffees, den er ausschenkt, keine Wälder in den Tropen gerodet werden. „Wie soll er das bewerkstelligen?“ Der Minister fügt hinzu, dass Brasiliens Präsident Lula solche Verordnungen als„Neo-Kolonialismus“ bezeichne.
Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sieht Jörg Kukies mit gemischten Gefühlen. Bei der Frage nach dem künftigen Antrieb von Autos will er die Antwort gerne der Industrie überlassen, solange die Lösung am Ende eine klimaneutrale ist. Bei den Stromnetzen allerdings macht er sich dafür stark, dass der Staat eine blockierende Mehrheit behält: „Das ist wichtig, damit nichts Falsches passiert, wenn alles in der Hand ausländischer Investoren ist.“
Bei der Halbleiterproduktion wiederum sei es so, dass sich ein neues Werk kaum ohne öffentliche Zuschüsse bauen lässt. „Wir brauchen aber eine Produktion in Europa. Es war der Urschock, als wir in der Pandemie plötzlich keine Halbleiter mehr importieren konnten.“ Man müsse immer damit rechnen, dass ein Projekt auch scheitern kann. „In diesem Fall können wir aber von Amerika lernen: Wir dürfen dann nicht einfach aufgeben, sondern müssen aufstehen und weitermachen.“ Diese Einstellung könnte in Zukunft immer wichtiger werden.

