Als im Steingau-Quartier die ersten Gebäude Form annahmen, regte sich mitunter Stirnrunzeln: Würde Kirchheims neues Viertel eine Ansammlung dichtgedrängter Wohnwürfel werden? Längst werden Skeptiker eines Besseren belehrt. Auch wenn mancherorts noch Baugitter den Weg versperren, erschließt sich das Quartier als Architektur-Park, der individuelle Facetten zeitgemäßen Bauens vor Augen führt. „Haus Eckbaum“ zählt zu den schillerndsten Projekten des Quartiers. Das 2023 fertiggestellte Holzhaus hat die Architektenkammer Baden-Württemberg als Vorbild für beispielhaftes Bauen ausgezeichnet. Schon von Weitem springen seine auskragenden Fassadenteile ins Auge. Intensives Rot tut sein Übriges. Und selbst im Dunkeln ist das Haus ein Hingucker: Lichtleisten zeichnen die Konturen der Fassade nach und verleihen dem Baukörper skulpturale Prägnanz. Die charakteristische Formgebung ist einer persönlichen Erinnerung geschuldet. Beim Kauf des Grundstücks bemerkte Karl-Hermann Geiger, dass an derselben Stelle der Kletterbaum seiner Kindheit gestanden hatte: „Das hat mich stark bewegt.“
Fortan diente der Baum als motivische Keimzelle. Die Architekten Franziska Lüke und Matthias von Schröder erstellten Modelle und spielten die Anordnung der Bauteile durch: „Wir haben aus allen Perspektiven geschaut und überlegt, wie Erker und Balkone eine Anmutung von Ästen erzeugen können“, erzählt Lüke. Nun klappt die Fassade nach Süden und Westen auf – eine Hommage an den verlorenen Kindheitsbaum. Die markante Außengestaltung zeitige auch positive Effekte für das Innere, betont die Architektin. In der Tat hat der Blick aus dem Wohnzimmerfenster viel von einem Panorama.
Holzton war zu langweilig
Doch beim Schauen stellt sich nicht erhabene Distanz, vielmehr verbindende Nähe ein. Wechselseitige Durchblicke lassen Haus Eckbaum mit dem Quartier zusammenwachsen. Daran ändert auch sein Mut zur Farbe nichts. Denn ein natürlicher Holzton schien Geiger zu langweilig. In einem Bildband stieß er auf das „House for a Drummer“ eines schwedischen Architekturbüros. Ein ästhetisches Schlüsselerlebnis: „Die Konsequenz der Farbgebung hat mich überzeugt“, sagt Geiger, der zudem selbst passionierter Schlagzeuger ist. Das nordische Vorbild ist komplett in Rot gehalten: Farbe ergreift die Form, bringt die Fassade plastisch zur Geltung. Ein Prinzip, das auch für Haus Eckbaum gilt. Dessen intensives Kiruna-Rot verweist auf Schwedens berühmte Eisenerzmine. Zu Skandinavien hat Geiger eine enge Beziehung. Seine Mutter und seine Ehefrau waren Schwedinnen: „Zu Hause wurde Schwedisch gesprochen. Wer bei uns zur Tür reinkam, hat ein Stück Schweden betreten.“
Erdgeschoss noch leer
Die Farbwahl kommt an. Schon in der Bauphase hat Haus Eckbaum Begehrlichkeiten geweckt: „Die Nachbarn waren begeistert, dass hier so ein Gebäude entsteht“, erinnert sich von Schröder. Manch einer wäre gerne selbst eingezogen. Eine weitere Besonderheit ist die Tragstruktur. Sie besteht zum Großteil aus Holz. Zur Verwendung kamen massive Holzwände, die mit Buchendübeln verarbeitet wurden. „Das Haus ist komplett rückbaubar“, erläutert von Schröder. „Man könnte alle Dübel entfernen und die Wände in Einzelteile zerlegen.“ Gegenwärtig harrt das Erdgeschoss noch seiner Nutzung. Ob Café oder Sternegastro – die vorhandene Infrastruktur lässt keine Wünsche offen. In seinem Haus wohnt der Hausherr zur Miete. Bauherrin ist die „Karl-Hermann-Geiger-Familienstiftung“. Sie fördert soziale Projekte für Kinder. So spannt Haus Eckbaum einen humanitären Bogen nach Ungarn, Indien und Tadschikistan. Dort profitieren armutsbetroffene Kinder von den Zuwendungen der Stiftung. Zum sozialen Konzept gehört auch die Mietwohnung im ersten Stock, deren Kosten 30 Prozent unter dem Mietpreisspiegel liegen. Die Gemeinschaft im Haus sei prima, sagt Geiger. „Ich fühle mich geborgen, hier bin ich zu Hause“ – was kann man Schöneres über das eigene Heim sagen?