Balladen
Ritter und Knappen – kühn und keck

Heiko Ruprecht trägt beim Kulturring-Abend in der Eduard-Mörike-Mehrzweckhalle schaurig-schöne Abenteuergeschichten in Versform vor – begleitet von Veronika Ponzer an der Harfe.

„Wort und Musik“: Unter diesem Motto boten Heiko Ruprecht und Veronika Ponzer in der Ötlinger Eduard-Mörike-Mehrzweckhalle den Balladenabend „Die Geister, die ich rief ...“ an. Foto: Andreas Volz

Mythisch und mystisch gleichermaßen sind die Zeiten und Welten, in denen sich Balladenhelden bewegen – wenn auch nicht märchenhaft: Geographische Namen wie Samos, Thule oder Toggenburg werden ebenso genannt wie die Namen handelnder Personen – ob sie nun Polykrates heißen, Dionys der Tyrann oder auch König Franz. Gespenster, Geis­ter, Hexenmeister sind mit von der Partie. Beliebte Figuren sind aber auch Reiter, denen es graust, tapfere Ritter mit keckem Finger und nicht weniger tapfere Knappen, denen es kühn aus den Augen blitzt. Die Zeit? Reicht von der Antike bis zur Gegenwart der Balladendichter. Auch das Mittelalter dient gerne als Zeithintergrund – etwa die Kreuzzüge.

Opulentes Becherwerfen

Und dann sind da noch die Accessoires, die Requisiten, natürlich vom Feinsten. Sagenhafter Reichtum tut sich vor dem inneren Auge auf, und opulente Verschwendungssucht. Was ist da schon eine Kleopatra mit ihrem legendär perlenden Wein, wenn ein Polykrates, der namenlose König im „Taucher“ oder auch der titelgestaltende „König in Thule“ wahllos goldene Becher und Ringe in die Fluten werfen? Beim „Taucher“ handelt es sich aber „nur“ um eine Mutprobe – wie auch beim Handschuh, den Ritter Delorges gelassen aus dem „furchtbaren Zwinger“ im „Löwengarten“ holt.

Zehn Balladen trägt Heiko Ruprecht vor, der bei seinem treuen Fernsehpublikum ebenfalls Legendenstatus genießt: In seiner Rolle als Hans Gruber ist er nicht nur der Bruder des „Bergdoktors“, sondern auch in vielen Wohnzimmern heimisch. In der Eduard-Mörike-Mehrzweckhalle in Ötlingen, wo er auf Einladung des Kirchheimer Kulturrings gemeinsam mit seiner kongenialen musikalischen Partnerin Veronika Ponzer auftritt, zeigt er aber sehr viel mehr als den TV-Serien-Darsteller. Er erweist sich als der Theaterschauspieler, der seit Jahrzehnten auf renommierten Bühnen in ebenso renommierten Titelrollen zu sehen ist.

Als solcher benötigt er in Ötlingen noch nicht einmal Requisiten – von Tisch und Stuhl abgesehen, wo er während der Musikstücke Platz nimmt. Selbst das Büchlein, mit dem er anfangs auf die Bühne tritt, ist nur äußerliche Staffage. Er braucht es nicht, um die mitunter vielstrophigen Balladen vorzutragen. Er hat die Texte allesamt im Kopf, was insbesondere beim „Ring des Polykrates“ eine beachtliche Leistung darstellt, denn die Handlung besteht aus immer neuen Variationen zum Thema, die stets mit ähnlich lautenden Floskeln eingeleitet werden. Wie schnell gerät man da beim Vortragen auf die falsche Abbiegespur!

Über alle Untiefen hinweg

Heiko Ruprecht aber meistert alle Untiefen souverän – nicht nur diejenigen, die der „Taucher“ schon rein inhaltlich zu bieten hat. Selbst über gelegentliche kleine Versprecher oder übersprungene Zeilen lächelt er hinweg. Und er bringt sein Publikum ebenfalls zum Schmunzeln, denn erstaunlicherweise sind die sonst so hehren Weimarer Klassiker Schiller und Goethe in ihren Balladentexten oftmals ausgesprochen ironisch unterwegs. Beim „Handschuh“ hat es ja fast jeder in der Schule gelernt, wie da die Erwartungen erst kunstvoll aufgebaut und dann ständig gebrochen werden.

Aber Goethe steht Schiller in nichts nach – wenn er im „Totentanz“ zum schaurigen Titel ein gleichfalls schauriges Geschehen liefert, nur um die Geisterstunde mit einem Glocken- und Paukenschlag zu beenden. Die überraschende Wendung: Nicht etwa der freche Türmer erschreckt sich zu Tode. Statt seiner zerschellt ein Gerippe und stirbt somit postum einen weiteren, mehr als jämmerlichen Tod – denn jetzt ist es auch noch seines letzten Hemdes beraubt. Zum Glück wird jedoch bereits eingangs erwähnt, dass im Reich der Knochengerüste eigentlich keine Scham mehr existiert.

Der Glockenschlag im „Totentanz“ bietet die engste Verknüpfung zwischen Text und Musik, denn Veronika Ponzer zeigt hier, dass die Harfe auch über ganz andere Töne verfügen kann als über das Glissando, mit dem sie in ihrem Saitenspiel regelmäßig glänzt. Die Verbindung zwischen Stimme und Soloinstrument ist ausgesprochen glücklich gewählt, denn die Musik – überwiegend aus dem 19. Jahrhundert – lässt Raum, den Gedanken und Geschichten der Balladen noch nachzusinnen, ohne sofort mit dem nächsten dramatischen und teils sogar tödlichen Geschehen konfrontiert zu sein.

Lyrik und Lyra

Zudem passt die Harfe auch als Symbol in die legendären Zeiten, in denen die Balladen sich abspielen. Ob als Instrument des biblischen Königs David, als Instrument reisender Minnesänger oder auch als Instrument keltischer Barden – sie passt perfekt zu einem Balladenabend. Nicht zuletzt stammt die Lyrik begrifflich von der Lyra ab, einem harfengleichen Instrument zur Gedichtbegleitung. Lediglich in der „Bürgschaft“ wurde eine denkbare Erwartung enttäuscht: Das „rieselnde Rauschen“, das Damon akustisch auf den lebendigen Quell in seiner Nähe hinweist, hätte sich durchaus hörbar ausgestalten lassen.

Der Titel der Veranstaltung ist an den Zauberlehrling angelehnt: „Die Geister, die ich rief ...“. Bei Heiko Ruprecht und Veronika Ponzer sind es durchweg gute Geister, die da gerufen werden – die Geister der beiden klassischen Balladendichter, zu denen sich ein einziges Mal auch Gustav Schwab gesellt, mit dem Ritt über den Bodensee. Im Publikum riefen diese Geister Erinnerungen hervor an längst vergangene Zeiten, als man sich zu Schulzeiten schon einmal mit einem Großteil der Balladen konfrontiert sah. Was sich gegenüber damals geändert hat: Viele dürften jetzt nachträglich zu den Texten greifen, um die Geschichten noch einmal „mit frommem Schauder“ nachzulesen.