Glaube
Run auf die Martinskirche: Tut mir auf die schöne Pforte

Singend sind die Gottesdienstbesucher und -besucherinnen in die umfangreich renovierte Kirchheimer Martinskirche eingezogen. Der Andrang war so groß, dass die Sitzplätze nicht für alle ausreichten. 

Wiedereröffnung der Martinskirche in Kirchheim/Teck - die 500 Sitzplätze plus 30 Zusatzplätze im Chor der Kirche reichten nicht aus, viele standen die ganze Zeit. Fotos: Peter Dietrich

Seit Oktober 2022 waren die Türen der evangelischen Martinskirche wegen der Bauarbeiten geschlossen. Nun traf sich auf dem Vorplatz eine große Traube von Gläubigen, um zum Gesangbuchlied „Tut mir auf die schöne Pforte“ gemeinsam in die Kirche einzuziehen und sie wieder in Besitz zu nehmen. In Besitz für Gottesdienste, zum Beten und Singen, aber auch für andere Veranstaltungen, die in dieses schöne Gotteshaus passen.

Sie habe nicht gedacht, dass der Wiedereinzug so lange dauern werde, sagte Nina Fischer, gewählte Vorsitzende des Kirchengemeinderats der Gesamtkirchengemeinde Kirchheim. „Doch nun sind 95 Prozent fertig.“ Zu den anderen fünf Prozent zählen Teile des Altargitters, die künstlerische Ausgestaltung des neuen Raums der Stille und die Sitzkissen für die Stühle. Dekan Christian Tsalos verwies auf einen weiteren Punkt: Die Leinwand, die unter anderem die Liedtexte zeigt, hänge noch zu hoch, sie komme noch nackenschonend tiefer.

 

„Jetzt probieren wir mal den Klang aus, und zwar ohne Orgel.

Ralf Sach. Der Kantor leitete einen vierstimmigen Kanon an.

 

„Jetzt probieren wir mal den Klang aus, und zwar ohne Orgel“, sagte Kantor Ralf Sach, und leitete den vierstimmigen Kanon „Vom Aufgang der Sonne“ an. 500 Sitzplätze im Kirchenschiff und 30 weitere im Chor hatten nicht ausgereicht, viele weitere Gottesdienstbesucher standen etwa zwei Stunden lang. Die Feier war musikalisch sehr vielfältig: Der Kammerchor sang ein Werk von Händel, der Martinschor „Nun danket alle Gott“, der Kinderchor vom „Volltreffer“, der jeder Mensch aus Gottes Sicht ist, und das Church Pop Orchestra spielte.

Wiedereröffnung der Martinskirche in Kirchheim/Teck - die 500 Sitzplätze plus 30 Zusatzplätze im Chor der Kirche reichten nicht aus, viele standen die ganze Zeit

Die Schriftlesung passte zum Anlass, sie stammte aus 1. Könige 8 und bezog sich auf die Wiedereröffnung des Tempels in Jerusalem. Die Predigt hielten Dekan Tsalos und Stadtkirchenpfarrer Jochen Maier gemeinsam. Sie erinnerten an die abwechslungsreiche Entwicklung des „Hauses Gottes“, das mit der Stiftshütte – also einem Zelt – begann und dann zum Jerusalemer Tempel führte. Die ersten Christen kamen in Privathäusern und Katakomben zusammen, bis die ersten Kirchen gebaut und immer größer wurden. Heute seien Kirchen „Andersräume“, sie würden als Gegenmodell zur Beschleunigungsgesellschaft gebraucht. Die Martinskirche werde tagsüber geöffnet sein, als äußerer Raum für den inneren Raum der Gottesbegegnung und Herzensruhe. Beide dankten allen, die die lange Renovierung begleitet, die angepackt und gespendet haben.

Wiedereröffnung der Martinskirche in Kirchheim/Teck - Bastelaktion "Glaubensblüten" - alle fertigen aus Krepppapier und Pfeifenputzern schöne Blüten und schmücken damit das Altargitter

Nach der Doppelpredigt gab es spontanen Applaus. Anschließend wurden Krepppapier und Pfeifenputzerdrähte verteilt. Die Besucher begannen, bunte Glaubensblüten zu falten und zu drehen, danach schmückten sie das Altargitter damit.

 

„Gotteshaus wichtiger als Rathaus“

Zum Gottesdienst gehörten zwei Grußworte. Der Kirchheimer Bürgermeister Pascal Bader erläuterte, wie wichtig den Kirchheimern ihr großes Gotteshaus war. Nach dem großen Stadtbrand von 1690 hatten sie nur drei Jahre gebraucht, von 1691 bis 1693, um ihre Kirche wieder nutzbar zu machen. Der Neubau des Rathauses fand dagegen erst 1722 bis 1724 statt. „Den Kirchheimern war das Gotteshaus wichtiger als das Rathaus“, sagte Bader. Gut, es gab noch einen anderen Grund: Für den Rathausneubau an alter Stelle hätte der Landvogt plötzlich Miete für das Grundstück haben wollen, das führte zu langem Streit. Die Kirchheimer bauten dann stattdessen an der heutigen Stelle. Bader ist zugleich Vorsitzender der Stiftung Martinskirche, die zur Renovierung stolze 165.000 Euro beigetragen hat. „Gerade in einer Zeit mit vielen Veränderungen brauchen wir Orte der Beständigkeit“, sagte er.

Die Architektin Sandra Rapp erinnerte daran, was bei drei Bauabschnitten in zehn Jahren wichtig war: „Wir sind mit der Substanz sensibel umgegangen.“ Neue Elemente, um die Räume bespielbar zu machen, seien behutsam in die Strukturen eingefügt worden. Alles wurde gereinigt, Kunstobjekte wurden restauriert. „Ich bin froh, dass die Martinskirche nun so hell und von Licht durchflutet ist.“ Eine große Aufgabe war die Erneuerung der Technik, die zum großen Teil unsichtbar ist. Was die Architektin am meisten begeisterte, war, wie sich schließlich alles zusammenfügte und zu einem großen Ganzen wurde: „Genießen Sie die neuen Räumlichkeiten, füllen Sie sie mit Leben.“

Wer das beim Gottesdienst tun will, braucht laut Pfarrer Axel Rickelt keinen Terminkalender: Das geht in der Martinskirche ab sofort immer um 10.30 Uhr, an jedem Sonn- und evangelischen Feiertag.

Nach der Feier gab es Schnittchen mit Lindorfer Backhausbrot, Sekt und Süßes und vieles mehr. Und ein Versprechen: Dies soll nicht das letzte Mal sein, dass es in der renovierten Martinskirche auch etwas zu essen gibt.