Florian Schepp ist immer noch „geladen“: „Das Antwortschreiben der KVBW ist eine Unverschämtheit“, sagt der Holzmadener Bürgermeister. Gemeinsam mit Schlierbachs Schultes Sascha Krötz hat er ein Schreiben an die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) initiiert, damit diese die geplante Schließung der Notallpraxis in der Kirchheimer Medius-Klinik noch mal überdenkt. Bürgermeister aus 17 Landgemeinden haben sich angeschlossen. Doch was die Gemeindechefs als Antwort bekommen haben, sorgt gelinde gesagt für Unmut.
Florian Schepp zitiert ein Beispiel aus dem Brief vom 18. Oktober. „Und wir reden von einem Angebot, das die Bevölkerung statistisch etwa alle fünf bis sechs Jahre einmal in Anspruch nimmt. Und da fordern Sie von uns allen Ernstes ein ,Weiter so‘?“ Die Formulierung der stellvertretenden KVBW-Vorsitzenden Dr. Doris Reinhardt empfindet der Holzmadener Schultes als herabwürdigend. „Es geht um die medizinische Grundversorgung unserer Bürgerinnen und Bürger und nicht um ein günstiges Angebot beim Media-Markt“, sagt er.
Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister hatten auch argumentiert, dass es für Bewohnerinnen und Bewohner der Landgemeinden wie Holzmaden oder Schlierbach schwierig bis unmöglich wird, mit dem öffentlichen Nahverkehr die nächstgelegene Notfallpraxis in Nürtingen zu erreichen, sollte die Bereitschaftspraxis in Kirchheim am 1. April 2025 wegfallen. Dazu die KVBW wörtlich: „Zunächst einmal sind Sie für die ÖPNV-Verbindungen zuständig, nicht die KVBW.“ Florian Schepp ärgert sowohl Form als auch Inhalt: „Die Gemeinden sind nicht für den ÖPNV zuständig. Zudem ist diese Formulierung doch recht unsachlich.“
Vorwurf der Diskriminierung
Dabei belässt es Doris Reinhardt aber nicht: „Gleichwohl dürfte es auch heute weitgehend unrealistisch sein, dass eine Bereitschaftspraxis mit dem ÖPNV aufgesucht wird. Denn spätestens, wenn ein Rezept eingelöst werden muss, würde der Patient einen Pkw benötigen.“ Florian Schepp staunt: „Das bedeutet, dass Menschen, die auf den ÖPNV angewiesen sind, auch gar nicht erst in die Notfallpraxis kommen sollen – bringt ja eh nichts. Das ist nun mal wirklich nicht nur lebensfern, sondern diskriminierend.“ Die Sorge der Rettungsdienste, künftig verstärkt in Anspruch genommen zu werden, sieht die KVBW ebenfalls anders: „Aus den bisherigen Erfahrungen mit geschlossenen Praxen gibt es keine Anhaltspunkte, dass der Rettungsdienst vermehrt in Anspruch genommen wird.“ Dem kann der Bürgermeister ganz konkret widersprechen: „Hier haben wir aus dem rettungsdienstlichen Kontext ganz andere Rückmeldungen. Der Rettungsdienst klagt zunehmend über Einsätze unterhalb der Rettungsdienstschwelle und dies wird durch die Schließung verstärkt. Zumal man ohne eigenen Pkw ja eh nicht in die Praxis kommt.“
Ralf Barth, Bürgermeister von Denkendorf, geht es ähnlich. „Auch mich hat der angeschlagene ,Ton‘ im Antwortschreiben der KVBW mehr als irritiert. Auch wenn die Abfälligkeit nicht ganz in dem Maße zum Ausdruck kommt wie im Antwortschreiben an meinen Kollegen Florian Schepp und Co., so fühle ich mich mit meinem Anliegen als Vertreter des Kreisverbands Esslingen im Gemeindetag Baden-Württemberg schlicht nicht ernst genommen. Vonseiten der Landesregierung erwarte ich eine dezidierte Auseinandersetzung mit der Sachfrage und kein Schwarzer-Peter-Spiel in Zuständigkeitsfragen.“
Dettingens Bürgermeister Rainer Haußmann, ebenfalls ein Unterzeichner des Briefs, vermisst die konstruktive Zusammenarbeit und Vorschläge. „Die KVWB zeigt nicht auf, was sie an Lösungsmöglichkeiten überhaupt geprüft hat.“ Er vermisst konkrete Zahlen: „Wie viele Stunden im Jahr müsste ein Hausarzt denn tatsächlich Dienst am Wochenende tun? Kann man das belohnen? Ist das wirklich unzumutbar?“ Die Sichtweise der Kassenärztlichen Vereinigung ist ihm zu einseitig: „Man kann die Ärzteschaft nicht verpflichten, und die möchten halt ihre Freizeit haben.“
Fehlende Transparenz
Was Rainer Haußmann besonders stört: „Man hat sich wohl schon festgelegt, es gab keine Transparenz und keine Beteiligung, und die Kommunikation über die Medien ist untragbar und respektlos.“ Hintergrund: Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der betroffenen Gemeinden haben von der geplanten Schließung der Notfallpraxen aus der Zeitung erfahren. Dass man laut KVBW auch ohne Kirchheim gut versorgt sei, sieht er anders. „Zwei Standorte und ein dritter, der eigentlich für Stuttgart ist, sollen für eine halbe Million Einwohner reichen? Unfassbar!“ Die Reaktion von Gesundheitsminister Manne Lucha, er sei nicht zuständig, kann Haußmann nicht akzeptieren. „Sie entzieht sich meines Erachtens nach ihrer Verantwortung. Die Politik darf die gesundheitliche Versorgung nicht allein dem Spiel der freien Kräfte überlassen.“
Kirchheims OB Pascal Bader sieht das ähnlich, und mit ihm ein prominenter Gesundheitspolitiker, den er erst am vergangenen Sonntag in Nürtingen persönlich traf: Karl Lauterbach. „Lauterbach meint, Lucha sei zuständig“, sagt Pascal Bader. Nach seiner Einschätzung müsse er handeln. „Die KVBW ist als Körperschaft des öffentlichen Sektors an Gesetze gebunden. Daher stellt sich die Frage: Hat sie eine Grenze überschritten?“ Das letzte Wort scheint in der Angelegenheit noch nicht gesprochen.
Hintergrund zum Aus der Notfallpraxis: So argumentiert die KVBW
Definition Konkret geht es bei den Notfallpraxen, die nicht mit der Notaufnahme zu verwechseln sind, laut Kassenärztlicher Vereinigung um eine „Überbrückungsbehandlung für akute Beschwerden, die nicht warten können, bis die Haus- und Facharztpraxen wieder öffnen“. Gleichzeitig fehle es landesweit laut KVBW an Hausärztinnen und Hausärzte, 20 Prozent der praktizierenden Mediziner stünden vor der Pensionierung.
Telemedizin Ferner verweist die Vereinigung in ihrem Schreiben darauf, dass weiterhin der Fahrdienst für die medizinisch erforderlichen Hausbesuche aufrechterhalten wird. Außerdem baue man die Telemedizin weiter aus, die künftig einen wesentlichen Bestandteil des Angebots für die Versorgung darstellen soll. Ein großer Teil der Anfragen im Bereitschaftsdienst könne auch telemedizinisch bearbeitet werden.
Nummer Die Nummer für den ärztlichen Bereitschaftsdienst, die 116117, werde deutlich ausgebaut, so dass man „den Patientinnen und Patienten eine Steuerung in die richtige Versorgungsebene abgestimmt auf ihre Beschwerden anbieten“ könne. „Gerade bauen wir dafür auch eine digitale Plattform auf“, heißt es weiter.
Frist Und: „Selbstverständlich werden wir die Kapazitäten an den verbleibenden Standorten bedarfsgerecht anpassen, um eine Belastung den Notaufnahmen zu vermeiden. Wir werden die Bereitschaftspraxis in Kirchheim nicht vor dem 1. April 2025 schließen. Wir werden den Bereitschaftsdienst mit drei Säulen robust, verlässlich und zukunftsfest ausbauen, so dass die Versorgung der Bevölkerung trotz der schwierigen Rahmenbedingungen weiterhin gewährleistet bleibt“, heißt es abschließend. zap