Stadtbild
Wachthaus Kirchheim: Schmuckstücke gibt es auch verputzt

Ein stadtbildprägendes Gebäude in Kirchheim soll wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild als Zeuge aus der Epoche des Klassizismus erhalten. Der Informationsbedarf ist groß.

Alte Ansichten aus der Zeit vor 1957 zeigen, dass das Kirchheimer Wachthaus 128 Jahre lang verputzt war. Foto: Stadtarchiv Kirchheim

Fachwerk ist nicht gleich Fachwerk: Diese Erkenntnis haben Oberbürgermeister Pascal Bader, Stadtarchivar Frank Bauer und Architekt Peter Cheret bei der Informationsveranstaltung zum Kirchheimer Wachthaus vermittelt. Grund für die Veranstaltung war der Gemeinderatsbeschluss,

Es geht immer um das einzelne Gebäude.

Peter Cheret verweist darauf, dass jetzt nicht die gesamte Altstadt verputzt werden soll

 

das Wachthaus zu verputzen. Das sichtbare Fachwerk, das 1957 freigelegt worden war, wird demnach in Bälde nicht mehr zu sehen sein.

Oberbürgermeister Bader schilderte seinen unmittelbaren Eindruck, als er erstmals vom Verputzen hörte: „Wie kann man nur?“ Mittlerweile habe er sich näher mit dem Wachthaus und dessen Geschichte befasst – „und inzwischen bin ich selbst der Meinung, dass es richtig ist, das Gebäude zu verputzen“.

Stadtarchivar Bauer gab eine kurze Übersicht über die Baugeschichte: „Ohne die Entscheidung, die Stadtmauer und damit auch das Obere Tor abzubrechen, wäre das Wachthaus 1829 nicht entstanden.“ Was er damit unter anderem sagen wollte: „Es gibt immer Veränderungen im Stadtbild.“

Die Altstadt stehe als Gesamtanlage unter Denkmalschutz. Einzelne Gebäude, zu denen auch das Wachthaus gehört, stünden sogar unter einem noch höheren Schutz: „Da können wir gar nicht alleine entscheiden, weil immer das Landesamt für Denkmalschutz zustimmen muss.“ Frank Bauer betonte: „Uns ist sehr daran gelegen, das Stadtbild zu erhalten. Die Altstadt wird von den meisten Leuten als sehr idyllisch angesehen – und das soll auch so bleiben.“ Beim Umgang mit Gebäuden und deren Erscheinungsbild gehe es immer auch um den Zeitgeschmack und die entsprechenden Moden. Die Freilegung von Fachwerk sei in den 1950er-Jahren passend gewesen: „Angesichts zerbombter Städte nach dem Krieg vermittelten Fachwerkfassaden ein Gefühl von trauter Heimat.“

Diesen Gedanken von der Sehnsucht nach der „guten, alten Zeit“ griff Peter Cheret auf: „Das Trauma des Kriegs und das Schweigen über den Krieg hatten ein Vakuum erzeugt, das es aufzufüllen galt.“ Die „heile Welt“, die das Fachwerk schaffen sollte, habe sich damals auch im Kino gezeigt – in den Sissi-Filmen oder auch in Heimatfilmen, die häufig im Schwarzwald oder in den Alpen spielten.
 

Eiche statt Nadelholz

Ein Gebäude wie das Wachthaus sei „identitätsstiftend“. Dennoch seien die Fachwerkgebäude Kirchheims vor hundert Jahren noch nahezu komplett verputzt gewesen, wie Ansichten aus der Zeit um 1900 belegen. Selbst das Rathaus zeigte sich damals nicht im Schmuck seines imposanten Fachwerks: „Das Rathaus ist als Sichtfachwerk ausgeführt – und trotzdem hat man es irgendwann verputzt.“ Schon bauzeitlich, in diesem Fall also in den Jahren 1722 bis 1724, sei das Rathaus so gebaut worden, dass das Holz sichtbar sein sollte: Das zeige sich außer an den Verzierungen auch an der Tatsache, dass überwiegend Eichenholz verwendet wurde.

„Das Haus Kornstraße 4 ist sogar zu hundert Prozent in Eiche abgebunden, und genau deswegen steht es heute immer noch gut da.“ Dasselbe gelte fürs Alte Haus: „Das wurde als Sichtfachwerk konstruiert wie das Rathaus. Auch deshalb ist das Holz immer noch in einem hervorragenden Zustand.“

Das Fachwerk des Wachthauses, das keine Zierfunktion hat, sondern allein der Konstruktion dient, besteht aus Nadelholz, das Feuchtigkeit viel stärker aufsaugt. Das Haus sei stets verputzt gewesen, um das Holz zu schützen. Seit der Freilegung 1957 hat das Holz so stark gelitten, dass es an den entscheidenden Stellen als zu hundert Prozent geschädigt einzustufen ist.
 

Das Haus bleibt fotogen

Als klassizistisches Gebäude geschaffen, sei es an der Zeit, dem Wachthaus seine Geschichte zurückzugeben und seine Formensprache neu herauszuheben. Der Klassizismus sollte einen krassen Gegensatz zur absolutistischen Barock-Architektur darstellen – in einer Zeit des Umbruchs und der beginnenden Industrialisierung, nach Ende der napoleonischen Kriege. Das sei das geschichtliche Zeugnis, das das Wachthaus ablegt: „Es geht immer um das einzelne Gebäude.“ Auch unter Putz sieht Peter Cheret das Wachthaus als ein überaus fotogenes Gebäude: „Davon bin ich überzeugt.“

Stadtrat Ralf Gerber bekannte sich in der anschließenden Diskussion dazu, im Rahmen der vielen Gespräche vom Saulus zum Paulus geworden zu sein. Er befürworte jetzt die Wiederherstellung der klassizistischen Fassade mit Putz. Pascal Bader betonte, dass auch der Gestaltungsbeirat das Verputzen empfehle. Mitglieder dieses Beirats seien unter anderem vier hochrangige Experten, die als Architekten allesamt Professuren innehaben.

Ein Zuhörer zeigte am Schluss, welche Auswirkung der sachliche Austausch von Argumenten haben kann: „Ich bin heute Abend als absoluter Gegner des Verputzens hergekommen. Jetzt könnte ich mit beiden Varianten leben – auch wenn ich das Wachthaus bisher nur mit Fachwerk kenne.“