Am 27. Januar 2024 kommen 2000 Menschen auf dem Kirchheimer Marktplatz zusammen, um gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Mitmenschlichkeit zu demonstrieren. Der Schock über die Correctiv-Recherche sitzt tief, die Angst vor Wahlerfolgen der AfD treibt bundesweit hunderttausende Menschen auf die Straßen. Acht Monate später ist der Albtraum Wirklichkeit geworden: Die AfD ist im Thüringer Landtag stärkste Kraft und lässt keine Gelegenheit aus, die Demokratie zu diskreditieren.
Wie nötig es daher ist, sich dauerhaft für eine freie, mitmenschliche und bunte Gesellschaft einzusetzen, das zeigte die „Lange Nacht der Demokratie“ auf dem Kirchheimer Marktplatz. Eingeladen hatten das Mehrgenerationenhaus Linde und der Initiativkreis „Kirchheimer Bündnis für Demokratie und Menschenrechte“. Laut Willi Kamphausen, der an diesem Abend der Hauptredner war, steht die Gründung dieses Bündnisses kurz bevor.
Das Engagement für Demokratie darf keine Eintagsfliege bleiben.
Willi Kamphausen vom Initiativkreis „Kirchheimer Bündnis für Demokratie und Menschenrechte“
Willi Kamphausens erinnerte in seiner Rede an ein geschichtliches Ereignis, das eine unheimliche Ähnlichkeit zu den aktuellen Ereignissen im Thüringer Landtag aufweist. 1930, also drei Jahre vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, hatte die NSDAP im Thüringer Landtag den bürgerlichen Parteien der Mitte und der Rechten zur Mehrheit verholfen. 1931 wurde ein Ermächtigungsgesetz vom Thüringer Landtag verabschiedet, das die Regierung unabhängig von parlamentarischer Kontrolle machte.
Zwei Jahre später beschloss der NSDAP-dominierte Reichstag bekanntlich das Ermächtigungsgesetz und lähmte damit das deutsche Parlament. „Mithilfe der Notverordnungen des Reichspräsidenten war Hitler ein weiterer Schritt in Richtung Diktatur gelungen – auf schein-legalem Weg“, so Kamphausen. Die Strategie, eine demokratische Verfassung zu nutzen oder besser zu missbrauchen, um die Demokratie scheibchenweise zu zerstören, sei keineswegs neu.
Die Neuauflage dieser Strategie ist nun in Thüringen zu beobachten. Dort verfügt die AfD, die vom Landesverfassungsschutz seit 2021 als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird, über die sogenannte Sperrminorität. „Diese Sperrminorität gibt der AfD-Fraktion vielfältige destruktive Möglichkeiten, die Arbeit des Landtags, der Regierung und der Verwaltung zu behindern, zu blockieren und an den Pranger zu stellen“, so Kamphausen. Das Ziel der AfD sei es, dadurch noch mehr Wählerinnen und Wähler zu überzeugen von ihrer Erzählung von der angeblichen Inkompetenz, Verlogenheit und Korruptheit des „Systems“, der „Kartellparteien“ und der „Eliten“.
Willi Kamphausen rief alle dazu auf, dabei mitzuhelfen, Demokratie, Mitmenschlichkeit und Vielfalt zu verteidigen. Das Wahlergebnis in Thüringen gehe alle etwas an. Schutz und die Verteidigung der Demokratie müssten eine Daueraufgabe werden. „Diese Aufgabe muss durch möglichst viele engagierte Einzelpersonen, durch Gruppierungen, Organisationen, Vereine, Parteien und Betriebe getragen werden“, so Kamphausen. Er lud alle zur Gründungsversammlung des „Bündnisses für Demokratie und Menschenrechte“, die im Spätherbst stattfinden soll.
Aufgelockert wurde die Veranstaltung durch die musikalischen Beiträge von Bernhard und Charlotte Amsberg, die Songs des streitbaren kanadischen Musikers und Filmemachers Neil Young zum Besten gaben. Birgit von Straelen und Jörg Weigele von „Zwei“ zu Dritt unterhielten – wie auch schon bei der Kundgebung im Januar – mit Cover-Songs, aber auch mit politische inspirierten Liedern. Während der musikalischen Beiträge machten auf das Volksbank-Gebäude projizierte Bilder deutlich, wie vielfältig das Engagement für Demokratie in Kirchheim schon heute ist.