Wenn es in der Galerie Diez hell wird, liegt es nicht nur am Tageslicht. Es ist das Licht in Ilse Ehrmanns Bildern, das den Raum erfüllt – nicht als bloße Erscheinung, sondern als gestaltende Kraft. Unter dem Titel „Zeitlauf“ zeigt die Kirchheimer Künstlerin derzeit neue Arbeiten im Dialog mit Werken aus vier Jahrzehnten.
Der Ausstellungsüberblick macht sichtbar, was Ehrmanns Malerei seit jeher prägt: die Suche nach Balance zwischen innerer Bewegung und äußerer Form, zwischen intensiver Farbigkeit und feiner Struktur, zwischen Wandel und Kontinuität.
Eines dieser Werke trägt den Titel „Kampf für das Licht“: hier ist die Farbe im Aufruhr, Lichtwogen brechen ins Dunkel, archaische Gewalten scheinen zu ringen. Doch wo man Pathos oder Dramatik erwartet, dominiert Harmonie – ein Gespür für Übergänge, für das Zarte im Kraftvollen. Das Licht erscheint nicht als Effekt, sondern als Substanz. Ehrmanns Malerei pulsiert – sie wirkt, als entfalte sie ihre Energie jenseits des Sichtbaren.
Kunstsammlung der Stadt
Mit dieser unverwechselbaren Kombination aus intensiven Farben, ornamentaler Dichte und präziser Linienführung hat sich Ehrmann einen festen Platz in der regionalen Kunstszene erarbeitet. Aufmerksamkeit erlangte sie unter anderem durch ihre Beteiligung an der Ausstellung „Innenwelten“ in der Kirchheimer Kreissparkasse, wo ihre Werke zu Publikumslieblingen avancierten. Eines davon fand Eingang in die Kunstsammlung der Stadt.
Auch online hat sich die Künstlerin mit ihren Arbeiten eine internationale Fangemeinde aufgebaut. Ihre zeichnerische Präzision hat handwerkliche Wurzeln: Als ausgebildete Druckvorlagenherstellerin arbeitete Ehrmann einst mit dem Rapidographen – einem technischen Tuschefüller, der höchste Genauigkeit verlangt. „Ich habe alles vollgekritzelt“, sagt sie rückblickend. – eine Bescheidenheit, die nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass schon ihre frühen Arbeiten hohe grafische Qualität besitzen.
Im Laufe der Jahre hat Ehrmann ihr Repertoire kontinuierlich erweitert. Sie experimentierte etwa mit dem Fotokopierer, abstrahierte pflanzliche Formen und überformte sie malerisch. So entstanden vielschichtige Kompositionen, in denen Natur und Abstraktion, Linie und Fläche ineinandergreifen. Ihre Arbeiten entwickeln eine eigenen Bildlogik – und mitunter wird das Licht selbst zum Akteur, wie in ihren transparent gearbeiteten Exponaten, die dem Vorbild sakraler Fenster folgen.
Gemalte Lebenseinstellung
Bei aller Nahbarkeit ist Ehrmanns Kunst jedoch nicht gefällig. Die fließend bewegten Gesten sind kein Manierismus, kein Selbstzweck. Woher der Wind weht, zeigt Ehrmanns Gemälde mit dem hebräischen Titel „Ruach“: es ist der göttliche Geist, der den Werken Leben einhaucht, den Bildraum in Bewegung hält. Galerist Wolfgang Diez spricht von einer „gemalten Lebenseinstellung“ – eine Haltung, die in vielen Exponaten spürbar wird.
Wiederkehrendes Motiv ist der Mensch, eingebettet in größere Zusammenhänge als Teil eines stillen Dialogs mit der Welt. Eine Perspektive, die auch als Kritik zu deuten ist an einer Gesellschaft, die den Einzelnen nurmehr als funktionales Element betrachtet. Ilse Ehrmanns Arbeiten sind Erinnerungen an etwas Grundlegendes – an schöpferisches Potenzial, an geistige Offenheit, an die Kraft des Lichts. In einer Zeit, die von Schnelligkeit und Effizienz geprägt ist, wirken ihre Werke wie ein entschleunigter Gegenentwurf – und genau das macht diese Kunst so gegenwärtig.
Info Die Ausstellung „Ilse Ehrmann – Zeitlauf“ ist bis einschließlich 1. Juni in der Galerie Diez in Dettingen zu sehen. Sie ist geöffnet samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr.