Israelbezogener Antisemitismus
Wenn ein ganzer Staat zur Zielscheibe wird

Wie diese Form des Judenhasses funktioniert und warum sie so gefährlich ist.

Jochen Maurer in der Auferstehungskirche Foto: Florian Stegmaier

Antisemitismus hat viele Ausdrucksformen – eine davon ist der israelbezogene Antisemitismus, ein zunehmend drängendes Problem. Dabei dient der Staat Israel als Projektionsfläche für antisemitische Ressentiments, die sich nicht nur in verbaler Hetze, sondern auch in handfesten Bedrohungen gegen jüdische Menschen niederschlagen. Trotz der realen Auswirkungen wird oft behauptet, diese spezielle Form des Judenhasses sei eine Erfindung oder werde übertrieben dargestellt.

Um das Bewusstsein für dieses Thema zu schärfen, hielt der Theologe Jochen Maurer, landeskirchlicher Beauftragter für das christlich-jüdische Gespräch, auf Einladung des Evangelischen Bildungswerks Esslingen einen Vortrag in der Kirchheimer Auferstehungskirche. Sein Anliegen: Aufklärung und Information als Schlüssel im Kampf gegen antisemitische Denkmuster.

Judenfeindliche Stereotype

Israelbezogener Antisemitismus überträgt klassische judenfeindliche Stereotype auf den Staat Israel. Ein Beispiel ist die Vorstellung, Israel sei ein bösartiger Staat, der Unheil über die Welt und die Palästinenser bringe. Um zwischen legitimer Kritik an der israelischen Regierung und antisemitischer Hetze zu unterscheiden, stellte Maurer den 3-D-Test des Politologen Natan Scharanski vor.

Dieser Test definiert drei Kriterien: Wenn Aussagen Israel dämonisieren, delegitimieren oder mit Doppelstandards messen, sind sie antisemitisch. Der 3-D-Test floss in die Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) ein, die auch die Bundesregierung als Richtschnur nutzt. Anhand konkreter Beispiele zeigte Maurer auf, wie sich israelbezogener Antisemitismus in der Öffentlichkeit manifestiert.

Die Parole „Kindermörder Israel“, die auf Demonstrationen zu sehen ist, unterstellt Israel, vorsätzlich palästinensische Kinder zu töten. Dieses Narrativ knüpft an die mittelalterliche Ritualmordlegende an, die Juden unterstellte, Kinderblut für rituelle Zwecke zu verwenden. Eine solche Diffamierung soll Israel moralisch diskreditieren und seine Existenz infrage stellen.

Antisemitische Losung

Ein weiteres Beispiel ist die antisemitische Losung „Israel ist unser Unglück!“, die in extrem rechten Kreisen verbreitet ist. Sie lehnt sich an den Ausspruch „Die Juden sind unser Unglück!“ des His­torikers Heinrich von Treitschke an, den die nationalsozialistische Hetzzeitschrift „Der Stürmer“ als Motto nutzte. Dahinter steckt eine Verschwörungserzählung, die das sogenannte „Weltjudentum“ als Bedrohung für die Menschheit darstellt.

Maurer kritisierte zudem die rechtskonservative Behauptung, Antisemitismus sei vor allem ein „importiertes Problem“. Diese Argumentation diene der eigenen Entlastung, indem sie Judenhass als Phänomen darstellt, das lediglich von Migrantengruppen aus­gehe. Dadurch werde die gesamtgesellschaftliche Verantwortung ausgeblendet und zugleich ras­sistische Vorurteile geschürt. Abschließend betonte Maurer die gesellschaftliche Notwendigkeit, weiterhin in politische Bildung zu investieren. Sein Vortrag verstand sich als „Appell, das differenzierte Sprechen und Denken nicht aufzugeben, sondern weiter zu intensivieren“.