Als Kirchheimer denkt man, dass die Termine für die beiden Jahrmärkte – also für den Märzenmarkt und für den Gallusmarkt – schon seit bald tausend Jahren dieselben sind wie heute: Die Märkte als solche fallen auf den ersten Montag im März respektive im November. Außerdem gibt es die monatlichen Krämermärkte sowie montags, donnerstags und samstags den Wochentag auf dem Marktplatz. So ist das, seit man sich zurückerinnert, und deshalb muss es auch immer schon so gewesen sein. Doch weit gefehlt: Namen wie „Schweinemarkt“, „Rossmarkt“, „Krautmarkt“ oder „Geflügelmarkt“ weisen darauf hin, dass es früher einmal ganz andere Märkte gegeben hat – und dass diese Märkte weder auf dem heutigen Marktplatz noch in den beiden Hauptstraßen stattfanden. Aber auch das kann nicht immer so gewesen sein: Die genannten vier Märkte liegen allesamt auf Flächen, die bis vor 200 Jahren noch von der Stadtbefestigung belegt waren. Sie können also nur eine vergleichsweise kurze Zeitspanne an den Orten existiert haben, für die sie namengebend waren.
Einen Schweinemarkt und einen Pferdemarkt braucht Kirchheim längst nicht mehr. Beide sind dem Strukturwandel zum Opfer gefallen. Der Viehhandel als solcher hat sich zwar deutlich länger gehalten: Zuletzt wurde er noch im Zusammenhang mit den beiden Jahrmärkten betrieben – jeweils am montäglichen Markttag, am Rand des Rummelplatzes auf dem Ziegelwasen. Weil aber die Nutztierhaltung im Alltag längst eine völlig untergeordnete Rolle spielt, gibt es auch keine Notwendigkeit mehr, Vieh nach Kirchheim auf einen Markt zu treiben.
Wichtigster Wollmarkt im Land
Ein weiterer Markt ist in Kirchheim nach wie vor präsent: der Wollmarkt. Die Bezeichnung für dessen Areal lautet zwar „Freihof“, aber immerhin führen die Wege zum Freihof bis heute über die Wollmarktstraße. Von 1819 bis 1914 gab es diesen Markt in Kirchheim, 1836 wurde er sogar zum Hauptlandeswollmarkt im Königreich Württemberg erhoben. 2010 hat der Wollmarkt eine Renaissance erfahren. Seither geht er alle zwei Jahre auf dem Schlossplatz über die Bühne – ohne jedoch mit dem historischen Wollmarkt allzu viel gemeinsam zu haben: Es handelt sich eher um einen Kunsthandwerkermarkt zum Thema „Wolle“.
Wie war das nun mit den beiden Jahrmärkten in Kirchheim? Eine wirkliche Tradition hat zumindest der Gallusmarkt, wie Rolf Götz 2006 in der Kirchheimer Stadtgeschichte schrieb: „Seit alters her wurden Jahrmärkte an Heiligentagen abgehalten, in Kirchheim im Frühsommer am 24. Juni (Johannes der Täufer) und im Herbst am 16. Oktober (Gallus), daneben gab es drei ,Fastenmärkte‘, die am 6. bis 4. Fastensonntag vor Ostern abgehalten wurden. Der Herbstjahrmarkt wurde am 27. September 1574 auf den Montag nach Allerheiligen verlegt.“

Trotz der Verlegung vom Tag des heiligen Gallus auf den Termin im November hat der Markt seinen Namen „Gallusmarkt“ behalten. In diesem Fall beziehen sich also nicht nur der Markt und sein Name auf eine uralte Tradition. Selbst die Terminfindung besteht seit nunmehr 450 Jahren unvermindert fort. Ganz anders sieht es mit dem Markt am Johannistag aus: Er ist gänzlich aus dem Kirchheimer Kalender verschwunden – genau wie der Pfingstmarkt, den Rosemarie Reichelt in ihrem Stadtgeschichts-Kapitel noch zusätzlich aufführt. Die alten Fastenmärkte vor Ostern dagegen haben sich zu einem einzigen verdichtet und sind im Märzenmarkt aufgegangen. In eher seltenen Ausnahmefällen – wie in diesem Jahr – liegt der Märzenmarkt auch einmal knapp vor der Fastenzeit.
1690: Ende des „Kaufhauses“
Was den Platz für die Märkte betrifft, heißt es bei Rolf Götz weiter: „Als fester Standort für den täglichen Lebensmittelmarkt wie auch für die Bedürfnisse des Wochen- und Jahrmarktes wurde ein ,Kaufhaus‘ (an der Stelle des heutigen Marktplatzes) erbaut, das erstmals 1455 erwähnt wird und bis zum Stadtbrand im Jahre 1690 für das Marktgeschehen zur Verfügung stand.“ Das „Kaufhaus“ war eine Kombination aus Markthalle, Rathaus, Lagerhaus und Tanzhaus. Letzteres bedeutet, dass es auch die Funktion einer heutigen Stadthalle hatte. Ein solches Kaufhaus, das aus derselben Zeit stammt und denselben Zwecken diente, hat sich bis heute im elsässischen Colmar erhalten: Dort heißt es „Koifhus“. Das Kirchheimer Kaufhaus wurde nach dem Stadtbrand nicht wieder aufgebaut. Der Platz ist frei geblieben, hat aber wichtige Funktionen beibehalten: den Markt und den Standort für Veranstaltungen – etwa beim Haft-ond-Hoka-Fescht, bei der Musiknacht oder am „Heiligen Morgen“.
Kirchheimer „Victualien-Markt“
Andere Waren wurden an eigenen Plätzen verkauft – wie bereits anhand des Schweinemarkts, des Rossmarkts oder des Krautmarkts beschrieben. Deren Plätze dienen heute allesamt zum Abstellen von Fahrzeugen, ein weiteres Beispiel für den Wandel der Zeit. Für das 19. Jahrhundert finden sich in der Stadtgeschichte im Kapitel von Sabine Widmer-Butz noch zahlreiche weitere Spezialmärkte in Kirchheim. Der Wochenmarkt, der sich auf den Montag beschränkte, hatte eine Bezeichnung, die man heute vor allem aus München kennt: „Victualien-Markt“. Außerdem gab es jede Woche den Schweinemarkt, den Holzmarkt und die Getreideschrannen. Pferdemarkt – ebenso wie Rindermarkt – war jeden Monat. Weiterhin sind aufgeführt: der „Stroh-Markt“, der „Baum-Markt“ und der „Leinwand-Markt“.
Das zeigt, dass die meisten der einst so bedeutenden Produkte „vom Markt genommen werden“ mussten, weil der Bedarf fehlt. Manche Produkte werden heute in Häusern verkauft. Der Markt hat sich als Begriff erhalten – sei es beim Supermarkt, beim Baumarkt oder auch beim Drogeriemarkt.
Sonderstellung im Alltag
Märkte hatten eine Sonderstellung im Alltag: Menschen kamen von weit her, um zu kaufen und zu verkaufen, um sich zu treffen und um Geselligkeit zu genießen. Bei einem Kirchweihfest war das nicht anders: Es war Markttag, das größte Fest am Ort sowie der höchste kirchliche Feiertag der Gemeinde – und es gab Musik und Tanz. Aus der Kirchweihe leitet sich der Begriff „Kirmes“ ab, in dem außer der Kirche auch die Messe steckt.
Kirmes wie Jahrmarkt sind heute ein Synonym für den Vergnügungspark, der immer schon mit dazugehört. Ob Karussells, Schießbuden oder Leckereien: Das alles scheint weniger dem Wandel unterworfen zu sein. Der Rummel auf dem Kirchheimer Ziegelwasen beweist es – vom heutigen Freitag an bis zum Montag, dem eigentlichen Tag des Märzenmarkts.