Lillys Augen leuchten. Aufgeregt greift sie nach dem Lampion, den Sabine D. ihr hinhält, während Sabrina W. sie noch warm in den Kinderwagen einpackt: „Schau mal, den hat die Oma für dich besorgt.“ Heute geht es zum Laternelaufen, zusammen mit einer Bekannten aus der Krabbelgruppe und deren Sohn. Ob Treffen mit anderen Eltern, kleine Ausflüge oder einfach das ganz normale Familienleben zuhause – Sabine D. und Sabrina W. genießen jede Minute mit ihrer elf Monate alten Tochter in vollen Zügen. Für ihr Glück haben die beiden Frauen, die seit 22 Jahren ein Paar und seit vier Jahren verheiratet sind, jedoch hart kämpfen müssen. Denn für gleichgeschlechtliche Paare ist der Weg zum rechtlich gemeinsamen Kind in Deutschland nach wie vor steinig und oft entwürdigend.
Anders als bei Ehen zwischen Mann und Frau gelten in Deutschland in gleichgeschlechtlichen Ehen nicht automatisch beide Ehepartner als Elternteile, wenn ein durch Samenspende gezeugtes Kind auf die Welt kommt. Sabrina W. muss nach der Geburt von Lilly noch monatelang bangen und sich von den Behörden durchleuchten lassen, bis sie als Mutter des gemeinsamen Wunschkinds anerkannt wird. Dass das für sie der einzige Weg zur gemeinsamen Elternschaft ist, macht die beiden Frauen aus Kirchheim fassungslos. „Es heißt immer, wir sind sind gleichgestellt. Das stimmt aber nicht“, beklagt Sabrina W.
Kein Pflegekind für das Paar
Die Odyssee beginnt vor vier Jahren. Damals wächst bei Sabrina W. und Sabine D. der Wunsch nach einem Kind. An ein eigenes denken sie zunächst nicht. „Wir wollten ein Pflegekind aufnehmen“, erzählt Sabrina W. Das Paar absolviert einen Kurs für angehende Pflegeltern, erbringt alle Nachweise und lässt sich auf die Liste setzen. Irgendwann bekommen die beiden Frauen mit: Alle Teilnehmer ihres Kurses haben schon Pflegekinder – außer sie selbst. „Bei einer Familie kam schon die zweite Nachfrage – und wir hatten nicht mal einen Anruf bekommen“, erinnert sich Sabrina W. zurück: „Das hat so wehgetan.“
Sabrina W. und Sabine D. erwägen die Adoption eines fremden Kindes. Doch auch da sind die Möglichkeiten für gleichgeschlechtliche Paare begrenzt – oder fragwürdig. Während die Optionen schwinden, bleibt der Kinderwunsch. Schließlich entscheidet sich Sabine D., selbst Mutter zu werden.
Die erste Schwangerschaft nach einer privaten Samenspende mündet in einer Fehlgeburt. „Das war ein Horror und so belastend für uns“, erinnert sich die 43-Jährige an die Zeit. Die Frauen hadern, fassen sich aber nochmal ein Herz und suchen eine spezialisierte Kinderwunschpraxis in München auf – die richtige Entscheidung, wie sie heute wissen. Sie fühlen sich dort gut beraten und begleitet. Sechs Anläufe braucht es, dann ist Sabine D. schwanger.
Kurs für Regenbogenfamilien
Neben einem ganz normalen Geburtsvorbereitungskurs meldet sich das Ehepaar auch zu einem speziellen Kurs der Beratungsstelle „BerTA“ des Lesben- und Schwulenverbands Baden-Württemberg. „Das war so schön für uns, weil wir Kontakte zu anderen queeren Paaren knüpfen konnten, die Eltern werden“, schwärmt Sabrina W. Dort erfahren sie aber auch, dass sie eine Adoption frühestens acht Wochen nach der Geburt beantragen können. „Stiefkindadoption“ lautet von da an das Schlagwort, das die beiden Frauen umtreibt.
„Wir sind völlig blauäugig reingegangen“, sagt Sabrina W. Dass sie die Tochter ihrer Frau würde adoptieren müssen, war ihr schon vorher klar gewesen. Was tatsächlich auf sie zukommt, ahnt sie aber noch nicht.
Im Dezember 2021 kommt Lilly auf die Welt. Alles geht gut. Sabrina W. und Sabine D. atmen auf und genießen ihr junges Familienglück. Sie beantragen die Adoption und erhalten Post vom Amtsgericht Kirchheim. „In dem Brief hieß es, dass uns das Jugendamt überprüfen müsse“, erinnert sich Sabrina W. „Das war ein Schlag ins Gesicht für mich.“ Die Mediaberaterin muss ein erweitertes Führungszeugnis, ein Gesundheitszeugnis und Informationen zu Einkommen, Job und Vermögen einreichen, außerdem einen Lebensbericht, in dem sie schildert, wie sie selbst aufgewachsen ist. „Du musst dich ausziehen, dich komplett nackig machen“, beschreibt die 44-Jährige, wie sie das Prozedere erlebt hat: „Das müssen heterosexuelle Paare doch auch nicht, wenn sie ein Kind bekommen.“
Und wenn etwas passiert?
Vor allem Sabine D. hadert mit dem Gesetz und den Auflagen, die ihrer Ehefrau im Vorfeld der Adoption aufgebürdet werden. „Das muss sich mal vorstellen: Wir sind verheiratet, haben uns ganz bewusst für ein Kind entscheiden, aus eigener Tasche die künstliche Befruchtung finanziert – und dann sowas.“ Dazu kommen vor der Geburt die Aufregung und die Sorge um die Zukunft des noch ungeborenen Kindes. „Wir mussten extra ein Schreiben aufsetzen – sonst hätte Sabrina unsere Tochter nicht mal aus dem Krankenhaus abholen dürfen, wenn mir etwas passiert wäre“, erzählt Sabine D. „Und wäre Sabrina vor der Adoption ums Leben gekommen, hätte Lilly keinen Anspruch auf eine Halbwaisenrente gehabt.“ Die beiden Frauen sind sich einig: Die aktuelle Gesetzgebung benachteiligt nicht nur gleichgeschlechtlich Paare, sondern auch deren Kinder.
Es folgen weitere Situationen, in denen die Frauen nicht wissen, ob sie lachen oder weinen sollen. Zum Beispiel, als ein weiterer Brief des Amtsgerichts ins Haus flattert, in dem sie alle drei zur Verhandlung geladen werden. „Das Kind Lilly Marie soll durch das Gericht angehört werden“, liest Sabrina W. vor und schüttelt den Kopf: „Lilly war zu dem Zeitpunkt sechs Monate alt.“
Die Frauen haben Glück gehabt
Mit der Verhandlung kommt die Erlösung. „Der Gerichtstermin war nur noch Formsache. Wir waren nach fünf Minuten wieder draußen“, erzählt Sabrina W. Vorwürfe macht sie weder dem Jugendamt noch dem Gericht: „Alle waren nett und bemüht und haben nur ihren Job gemacht. Das Problem ist die gesetzliche Lage.“ Die Frauen wissen auch: Sie haben richtig Glück gehabt. Dass Lilly sechs Monate nach ihrer Geburt zwei rechtliche Mütter hat, ist keine Selbstverständlichkeit. „Bei Freunden aus dem Geburtsvorbereitungskurs läuft das Verfahren schon bald ein Jahr“, so Sabrina W.
Glück haben die beiden Frauen auch mit ihrem Umfeld. Familie, Freunde, ja sogar Nachbarn haben mitgefiebert. „Wir sind wirklich dankbar, dass wir so akzeptiert werden“, freut sich Sabrina W. Akzeptanz und Toleranz erhoffen sich die beiden Frauen auch für ihre Tochter, wenn sie in den Kindergarten und in die Schule kommt. Zurzeit besuchen sie mit Lilly zwei Krabbelgruppen in Kirchheim. Darüber hinaus nehmen sie an Treffen für Regenbogenfamilien in Stuttgart teil. „Wir finden es wichtig, dass Lilly sieht: Es gibt auch andere Kinder, die zwei Mütter oder zwei Väter haben.“
Bunte Ehen und Familien
Seit Einführung der „Ehe für alle“ im Jahr 2017 wurden – Stand 2021 – bundesweit 65 600 Ehen zwischen Menschen gleichen Geschlechts geschlossen. Gut die Hälfte davon waren Umwandlungen von eingetragenen Lebenspartnerschaften.
Rund 10 000 Regenbogenfamilien gab es in Deutschland 2020, davon 4000 gleichgeschlechtliche Ehepaare und 6000 Lebensgemeinschaften mit minderjährigen Kindern.
In Kirchheim sind seit Einführung der „Ehe für alle“ 28 gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen worden. Zudem haben 15 homosexuelle Paare ihre eingetragenen Lebenspartnerschaften in Ehen umwandeln lassen.
Zum Thema Stiefkindadoption ist für 2023 eine Reform geplant. Lesen Sie dazu den Artikel „Die Hürden für Co-Mütter in Regenbogenfamilien sollen abgebaut werden“.