Kirchheim

Der Alltag inspiriert die Kunst

Vernissage Ein umgebauter Wohnwagen war in Kirchheim Schauplatz für eine besondere, skurrile Galerie. Der Stuttgarter Maler Hans Pfrommer präsentierte hier seine Kunst, die er „daheim“ nennt. Von Florian Stegmaier

Der Künstler Hans Pfrommer malt Bilder, die verrückte Szenen im Alltag zeigen. Ausgestellt waren sie in einem Wohnwagen.Fotos: C
Der Künstler Hans Pfrommer malt Bilder, die verrückte Szenen im Alltag zeigen. Ausgestellt waren sie in einem Wohnwagen.Fotos: Carsten Riedl
Die Vernissage der Ausstellung „daheim“ von Hans Pfrommer fand im Freien im Bürgerpark statt.
Die Vernissage der Ausstellung „daheim“ von Hans Pfrommer fand im Freien im Bürgerpark statt.

In den vergangenen Tagen hat sich im Kirchheimer Bürgerpark ein ungewohnter Anblick geboten. Ein Wohnwagen war auf der dortigen Ausgleichsfläche der Städtischen Galerie geparkt. Doch nicht dem Wildcampen, sondern der Kunst des Rückzugs wurde hier gehuldigt. Damit griff der Kunstbeirat der Stadt Kirchheim das Festivalmotto der Kulturregion Stuttgart auf, das der Fragestellung nach der verschwimmenden Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit nachgeht.

Als mobile Eremitage, die noch am periphersten Ort das Außen vom Innen trennt, steht der Wohnwagen für die Form eines selbstbestimmten Rückzugs geradezu symbolisch ein. Von seinen unter dem Label „Microssage“ firmierenden Betreibern als fahrbarer Showroom ausgebaut, lud der Wagen zur Begegnung mit Werken des Stuttgarter Malers Hans Pfrommer ein. Seine Arbeiten hatte Pfrommer, der an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart studiert hat und Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Das Kartell“ ist, unter dem Ausstellungstitel „daheim“ versammelt.

Mit Bar und Lounge fordert die rollende Galerie eigentlich zu dichtgedrängter Interaktion auf. In Zeiten der Pandemie hingegen fristet das soziale Gehäuse ein Dasein als Einzelkabine. Dem Konzept einer Kunst des Rückzugs kommt das entgegen. Pfrommers Arbeiten können Gegenstand einer kontemplativen Betrachtung werden. Denn hinter dem anspielungsreichen Witz, dem ironisch-ätzenden Spiel mit Zitaten, Ereignissen und Situationen steckt Subs­tanz, die entdeckt werden will. Zwar ist der Maler ein feiner Beobachter allwaltender Absurdität, er bleibt jedoch nicht beim witzigen Effekt stehen. Schon die elaborierten Werktitel, bei Pfrommer eine Textsorte für sich, geben Narrative an die Hand, die zum Abgleich mit dem Bild auffordern. Schauen und Lesen treten in ein Wechselspiel, das die Tiefenschichten der Bildsprache auszuloten beginnt. Begegnet die Kurzprosa des Bilderzyklus „Jugend forscht“ als Protokoll gutgemeinten Scheiterns, zielen andere Titel auf den lakonisch kleinsten Nenner: „Essen nicht fertig - Mann schlägt Frau mit Dachlatte“.

So war auch die ­Einführungsrede bei Wortkünstler Timo ­Brunke in den besten Händen. In seiner „Festrede“ wies er auf die spezifische Wertschätzung der Dinge hin, die in Pfrommers Motiven begegne. Der Laudator bezog sich auf das Ölbild „Gefährliche Liebschaften“, das den Künstler im häuslichen Glück mit seinem Staubsauger zeigt und Brunke zufolge einen Akt der Beheimatung vor Augen stelle. Als „klügste Antwort auf die Pandemie“ lobte Brunke das Tondo mit dem Titel „selbst als Influencer II“, denn hier werde nicht infiziert, sondern identifiziert. Wobei Identifikation meist über ein Vorbild läuft. Das gelehrte Spiel mit der Kunstgeschichte hat in Pfrommers Arbeit seinen festen Platz, unschwer ist Caravaggios Medusenhaupt als Pate des schrillen Selbstporträts zu erkennen. Brunke feierte den Maler als einen „Künstler des Entzugs“, der gerade aus dieser Qualität sein Vermögen zur Beheimatung schöpfe.

Im gemeinsamen musikalischen Beitrag mit Armin Subke gewährte Pfrommer weitere Einblicke in seine Welt, in der noch das Brachiale als Kehrseite des Hintersinns zu entdecken ist.

Mag sein, dass Pfrommers Ausstellung im „Microssage“ zu den „schrägen“ Beiträgen gehört, von denen Gottfried Hattinger in seiner Eigenschaft als künstlerischer Leiter der Kulturregion Stuttgart spricht. Zu den resonanzerzeugenden, daher wertvollen Beiträgen ist sie sicher zu zählen.