Kirchheim

„Warst du das nicht gestern im Club?“

Mobbing Ein pikantes Video macht in Kirchheim die Runde. Viele denken, Alena S. ist darauf zu sehen. Sie zeigt Mut und reagiert sofort auf die Gerüchte. Von Melissa Seitz

Das Video aus dem Kirchheimer Club war in Kirchheim und Umgebung das Gesprächsthema schlechthin.Foto: Carsten Riedl
Das Video aus dem Kirchheimer Club war in Kirchheim und Umgebung das Gesprächsthema schlechthin.Foto: Carsten Riedl

Hinter einer ganz einfachen Frage steckt für Alena S. ein richtiges Drama, mit dem sie lieber nichts zu tun haben würde. „Warst du nicht gestern auch in diesem Club?“ So lautete die Frage, die ihr ein Unbekannter auf Facebook stellte.

Ein ganz gewöhnlicher Freitagabend - zwei junge Menschen starten ihr Wochenende nun eben mal so, wie es junge Menschen machen: in einem Club. In diesem Fall in einem Club in Kirchheim. Doch nicht alles an diesem Abend ist gewöhnlich. Das hier ist kein normaler Party-Abend mit Freunden. Es ist schon spät, und der Alkoholpegel hat das Schamgefühl herabgesetzt. Eine Hemmschwelle gibt es nicht mehr. Da fällt das Flirten leichter, und schnell ist eine junge Dame für den Abend auserkoren. Der Mann verschwindet mit seiner Eroberung in der Männertoilette.

Was in der Kabine abgeht, können sich viele ausmalen. Doch viel Vorstellungskraft ist hier gar nicht mal nötig, denn was die beiden dort treiben, gibt es auf Video. Und als sei das nicht genug: Dieses Video kursiert nun in zahlreichen Whats-App-Gruppen und ist in Kirchheim das Gesprächsthema schlechthin.

Was hat die Kirchheimerin Alena S. nun damit zu tun? Eigentlich nichts. Doch das glaubten einige am Anfang nicht. Viele hielten sie für die Frau, die man auf dem Video nur von hinten sieht. Und dieses Gerücht wurde womöglich auch von demjenigen in Umlauf gebracht, der das Video aufgenommen und veröffentlicht hat. Und so flatterten Freundschaftsanfragen über Freundschaftsanfragen in ihren Facebook-Eingang. „Ich war gerade in London, als ich plötzlich ganz viele Nachrichten erhielt“, erinnert sich die 18-jährige Kirchheimerin, „ich wusste in diesem Moment gar nicht, wieso.“

Lange blieb sie jedoch nicht im Ungewissen. Auch ihr wurde dann das Video geschickt. „Mir wurde sofort klar, was los ist,“ erzählt Alena S., „alle dachten, ich bin die Frau auf dem Video.“ Der Urlaub war gelaufen, die Laune am Boden. Ihrer Wut ließ die Kirchheimer Kellnerin freien Lauf. „Ich bin ein Mensch, der sagt, was er denkt. Ich musste einfach etwas dazu sagen.“

Und so tat sie es demjenigen gleich, der das pikante Video veröffentlicht hatte - auch sie postete ein Video. Der Unterschied: Ihr Video ist für die Öffentlichkeit gedacht und zeigt Stärke. Das Club-Video hingegen hätte nie in Umlauf geraten sollen.

„Ich bin enttäuscht von den Menschen, die glauben, ich sei das auf dem Video. Ich bin enttäuscht von den Jungs, die mir dadurch Freundschaftsanfragen oder Nachrichten geschickt haben. Und natürlich auch von der Person, die das Gerücht verbreitet hat, dass ich das bin“, sagt die 18-Jährige in ihrem öffentlichen Video auf Facebook. Die Reaktionen sind gemischt. Von manchen erhält Alena S. ermutigende Worte, doch andere wiederum können sich schnippische Kommentare nicht verkneifen. „Das war mir aber egal. Ich musste dazu etwas sagen.“

Das Video wurde fast so berühmt wie das aus dem Club. Es wurde geteilt, kommentiert und gelikt. Der Name „Alena“ war nun fester Bestandteil im Drama rund um das pikante Szenario in dem Kirchheimer Club. 4 000 Klicks erreichte das Video auf Facebook, bis sie es wieder löschte. „Ich habe gesagt, was ich wollte, und es hat die Menschen erreicht. Es gab keinen Grund, das Video länger online zu lassen“, sagt die 18-Jährige. „Ich wollte die Sache irgendwann auch wieder ruhen lassen.“

Mit dem Trubel um ihre Person und dem Video geht die Kirchheimerin souverän um. „Wenn jemand was zu dem Video wissen will - oder wissen will, ob ich das auf dem Video bin - dann soll derjenige mich direkt ansprechen“, sagt die 18-Jährige. Anfangs hatte sie Angst, in der Stadt dumm angeschaut zu werden, doch nun lacht sie nur darüber.

„Ich muss gestehen: Als ich nach der Veröffentlichung des Videos wieder arbeiten gegangen bin, hatte ich Angst, dass ich dadurch meinen Kellnerjob verliere“, sagt die Schülerin. Doch Sorge um ihr Image und ihren Job musste sie nicht haben - ganz im Gegenteil. „Mein Chef wusste, dass ich so etwas nicht machen würde.“ Auch ihre Familie und Freunde stehen hinter ihr. Selbst Bekannte, von denen sie lange Zeit nichts gehört hatte, sind begeistert von ihrer selbstbewussten Art.

Inzwischen wissen die meisten, wer eigentlich auf dem Video zu sehen ist, und dass die abgebildete Frau nicht Alena S. ist. Doch wer die pikante Szene gefilmt und schließlich verschickt hat, das weiß die Kirchheimerin immer noch nicht.

Dass es sich hier um Cybermobbing handelt und dass es strafbar ist, ein solches Video zu filmen und es dann ohne die Zustimmung der Personen zu veröffentlichen und zudem auch noch Gerüchte in die Welt zu setzen, darüber war sich derjenige, der das Video mit seinem Handy filmte, wohl nicht im Klaren. „Sollte ich herausfinden, wer es gepostet hat, dann werde ich ihn anzeigen“, verspricht die Kirchheimerin.

Was viele nicht wissen: Auch all die Menschen, die sie mit dummen Kommentaren und niveaulosen Anspielungen überhäuften, könnte die 18-Jährige anzeigen. Dabei handelt es sich nämlich ebenfalls um Cybermobbing.

Doch diese Personen haben Glück, dass Alena S. so stark ist und jetzt nur noch über den ganzen Vorfall lachen kann.

Im Sumpf der sozialen Medien

Foto: PR
Foto: PR

Mit dem Internet hat sich die Situation rund um das Persönlichkeits- und Medienrecht radikal gewandelt. Durch Facebook, Twitter, Whats-App und Co kann jeder mit einem Klick eine große Öffentlichkeit erreichen. Aber diese Möglichkeit hat auch eine Schattenseite: Jeder einzelne kann viel leichter zum Hass-Objekt werden, und Anschuldigungen machen schneller die Runde. Der Kirchheimer Fachanwalt für Familienrecht Ömer Savas von der Kanzlei „PLATO Rechtsanwälte“ vertritt unter anderem Mandanten, wenn es um Verletzungen von Persönlichkeitsrechten geht. Er klärt auf, was erlaubt ist und was nicht.

Wenn ich ein Video von einer Sehenswürdigkeit mache und darauf Personen zu sehen sind, muss ich mir die Genehmigung von ihnen holen, bevor ich es veröffentliche?

Ömer Savas: Nein, müssen Sie nicht. Die Aufnahmen sind ja schließlich nicht den gezeigten Personen gewidmet, demnach sind sie auch nicht im Fokus des Videos. Man benötigt laut Paragraf 23 des Urheberrechts von Personen, die nur als sogenanntes „Beiwerk“ zu sehen sind, keine Einwilligung. Das bedeutet, dass die abgelichtete Person in dem Video somit nur eine untergeordnete Rolle spielen darf. Das ist jedoch nicht immer so eindeutig und sollte im Einzelfall geprüft werden.

Wann muss ich dann um Erlaubnis fragen? Wie muss diese Zustimmung erfolgen - mündlich oder schriftlich?

Savas: Der Grundsatz lautet, dass jede Ablichtung eine Zustimmung braucht. Die Einwilligung muss nicht zwingend schriftlich erfolgen. Trotzdem ist man damit auf der sicheren Seite. Eine mündliche Zustimmung oder eine Nachricht würde an sich ausreichen. Anders sieht das bei Lehrern aus: Sie sollten sich meiner Meinung nach -im Hinblick auf den Datenschutz - eine schriftliche Erlaubnis der Eltern holen, vor allem bei minderjährigen Kindern. Wichtig ist jedoch in jedem Falle, dass man weiß, in welche Art von Bild oder Video man einwilligt.

Was kann man im Fall von Alena S. machen, ohne genau zu wissen, wer das Video gemacht und veröffentlicht hat?

Hier wird das Persönlichkeitsrecht verletzt. Es sollte also Strafanzeige erstattet werden. Wenn die Polizei den Täter ermittelt hat, kann man Unterlassungs-, Schadens- oder Schmerzensgeldansprüche geltend machen. Die Höhe des Geldanspruches richtet sich unter anderem danach, an wie viele Personen das Video verbreitet wurde. Die Summen können demnach sehr hoch sein. In jedem Falle ist es wichtig, einen Rechtsanwalt zurate zu ziehen.Melissa Seitz