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Landwirte und Bauern zu EU-Verordnung: Fortschritt ja, Verbote nein

Umwelt Eine neue europaweite Verordnung sieht strengere Regeln für die Verwendung von Pestiziden vor. Vor allem eine Neuerung bereitet Weingärtnern, Obstbauern und Landwirten rund um Limburg und Teck Sorgen. Von Bianca Lütz-Holoch 

Das Blütenmeer im Frühjahr, süßes Obst im Sommer und dick mit Trauben behangene Reben im Herbst: Seit Jahrhunderten prägen Kulturpflanzen die Landschaft am Albtrauf. Nun fürchten Weingärtner, Obstbauern und Landwirte aus der Region um deren Zukunft – und um ihre eigene. Denn einige Teile der neue EU-Pflanzenschutzverordnung könnten gravierende Auswirkungen haben.

 

„Was bei uns unter Schutz steht, ist keine Naturlandschaft, sondern Kulturlandschaft.
Siegfried Nägele
Vorsitzender der Kreisbauernverbands Esslingen

 

Die geplante Verordnung sieht vor, den Einsatz von Pestiziden bis zum Jahr 2030 EU-weit um 50 Prozent zu reduzieren. Für Diskussionen sorgt aber vor allem der Vorstoß, Pestizide in „sensiblen Gebieten“ komplett zu verbieten. Denn solche gibt es in Deutschland viele, ganz besonders in der Region rund um Teck und Limburg. 

„Für den Weinbau an der Limburg, am Egelsberg und vielen anderen Gebieten würde ein Verbot von Spritzmitteln das totale Aus bedeuten“, sagt Rainer Bauer vom Verein der Weinbergbesitzer in Weilheim. Denn Weinbau ganz ohne Spritzen, das funktioniere nicht. „Der echte und der falsche Mehltau müssen bekämpft werden“, sagt der Hobby-Wengerter. „Selbst spezielle, pilzresistente Züchtungen kommen auf Dauer nicht ohne Pflanzenschutz aus.“ Verboten wären laut der EU-Verordnung biologische Spritzmittel gleichermaßen wie konventionelle.

Junge Pflanzen sind auf Pflege angewiesen

Auch die Kirschblüte im Neidlinger Tal und in Weilheim würde ein Verbot von Pestiziden hart treffen. Denn während ältere Streuobstbäume ganz gut alleine klarkommen, sind die jungen Setzlinge auf menschliche Pflege angewiesen. „In den ersten zehn bis 15 Jahren muss man Jungbäume gießen, schneiden und mit Pflanzenschutzmitteln behandeln“, sagt Karl Bölz, Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins Weilheim. Und besonders wichtig: Jemand muss sie überhaupt erst einmal pflanzen. „Wenn man nicht mehr spritzen darf und nichts mehr ernten kann, bewirtschaftet irgendwann gar niemand mehr die Streuobstwiesen.“ 

Aus Sicht von Siegfried Nägele, dem Vorsitzenden des Kreisbauernverbands Esslingen, beißt sich genau da die Katze in den Schwanz. „Dass es bei uns so viele Schutzgebiete gibt, bedeutet ja auch, dass die bisherige Bewirtschaftung gut mit der Natur vereinbar war“, stellt er klar. Mehr noch: „Was bei uns unter Schutz steht, ist keine Naturlandschaft, sondern Kulturlandschaft. Im Gegensatz zum Wald sind Wiesen, Äcker und Streuobstwiesen abhängig von der Bewirtschaftung durch Menschen.“

Hinter einer solch reichen Traubenernte an der Limburg steckt viel Arbeit. Dazu gehört auch die Behandlung gegen Pilzinfektionen wie den echten und den falschen Mehltau. Archivfoto: Carsten Riedl

Vorbild für Europa

Einer weiteren Reduzierung von Pestiziden steht er offen gegenüber – in sinnvollem Maße. „Statt Verboten brauchen wir Fortschritte, die man gemeinsam erarbeitet und die von der Landwirtschaft mitgetragen werden.“ Dass das möglich ist, zeigt aus seiner Sicht das Biodiversitätsgesetz in Baden-Württemberg, das aus dem Artenschutz-Volksbegehren „Rettet die Bienen“ heraus entstanden ist. „Im Laufe des Prozesses hat es durch intensive Diskussionen eine Entwicklung gegeben – sowohl aufseiten des Naturschutzes als auch bei den Landwirten“, so Nägele. „Ein Zuckerschlecken war das nicht. Aber ich finde, wir sind in Baden-Württemberg jetzt auf einem zielführenden, guten Weg.“

Genau das wünscht er sich auch auf EU-Ebene. „Wir sind aufgeschlossen, veränderungsbereit und wollen den Prozess positiv begleiten“, betont er. „Allerdings nicht mit einer Verbotskultur, denn die verlagert nur die Probleme.“ Er fürchtet, dass dann aufgrund steigender Preise mehr Nahrungsmittel importiert werden. „Damit exportieren wir Umweltthematiken. Und das sehen wir kritisch.“ Stattdessen könnte aus seiner Sicht das baden-württembergische Erfolgsmodell Pate stehen für ​​die Bundesebene und auch Europa.

Harter Kampf um Ausnahme

Nicht so gerne denkt Hobby-Weingärtner Rainer Bauer an den Prozess rund um das Artenschutz-Volksbegehren zurück. Mehr als ein Jahr lang hatten die Weingärtner an der Limburg um eine Ausnahmegenehmigung gekämpft, die es ihnen weiter ermöglicht, Fungizide zu spritzen. Ende 2021 lag sie dann vor. Die Begründung des Regierungspräsidiums Stuttgart: Eine Ausnahme sei gerechtfertigt, weil der Weinbau an der Limburg seit über 900 Jahren etabliert sei und maßgeblich dazu beitrage, die Limburg als Kulturlandschaft zu erhalten.

Mit solchen Ausnahmegenehmigungen auf EU-Ebene zu arbeiten, ist aus Sicht von Rainer Bauer nicht möglich. „Das wäre viel zu viel Verwaltungsaufwand.“ Die Weilheimer Weingärtner unterstützen deshalb eine Initiative der Weinbauern im Remstal und deren „Weinstädter Erklärung“. Darin fordern sie unter anderem die Unterstützung und Förderung von Innovationen im Bereich Züchtungen und Pflanzenschutz statt eines Verbots von Spritzmitteln (siehe Info).

Eines steht für Rainer Bauer, Karl Bölz und Siegfried Nägele ohnehin fest: Zum Spaß spritzt keiner mehr. „Pflanzenschutzmittel sind mittlerweile so teuer, dass sie nur dann eingesetzt werden, wenn es unbedingt nötig ist.“

Schon jetzt hohe Standards im Land

Die EU-Kommission hat vergangenen Sommer einen Entwurf für eine neue Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln vorgelegt. Vorgesehen ist darin eine EU-weite Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent und ein Verbot von Pestiziden in „sensiblen Gebieten“. Der Entwurf wird aktuell verhandelt und diskutiert.

Die grün-schwarze Landesregierung lehnt Agrarminister Peter Hauk zufolge auch einen abgeschwächten Brüsseler Plan zur Verringerung von Pflanzenschutzmitteln in Europa ab. Dabei geht es insbesondere auch um das Verbot von Pestiziden in Schutzgebieten. 

In Baden-Württemberg ist 2020 eine Änderung des Naturschutzes in Kraft getreten, auch Biodiversitätsstärkungsgesetz genannt. Es geht zurück auf das Volksbegehren „Rettet die Bienen“. Unter anderen beinhaltet es ein Verbot von Pestiziden in Naturschutzgebieten, eine Reduktion chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel, den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft und den Erhalt von Streuobstbeständen.

In der „Weinstädter Erklärung“ formulieren Wengerter aus dem Rems-Murr-Kreis Forderungen an die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die Bundesregierung. Darin fordern sie nicht nur Unterstützung und Förderung von Innovationen im Bereich von Pflanzenschutz und Kulturen statt eines Totalverbots von Pestiziden sowie die Möglichkeit, zumindest natürliche Mittel einzusetzen. Sie weisen auch darauf hin, dass in Deutschland und vor allem Baden-Württemberg schon weit strengere Vorschriften für Pflanzenschutz gelten als in anderen Mitgliedsstaaten und auch weit mehr Flächen unter Schutz stehen.

 

Lesen Sie dazu auch den Artikel: „Gefahr für Bauern und Winzer – oder nicht?“