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Vom digitalen Schnuller lernen

VHS-Thementag befasst sich mit Industrie 4.0 und innovativen Geschäftsprozessen

Zum Thementag „Industrie 4.0 – Digitale Wertschöpfung und innovative Geschäftsmodelle“, hatte der Volkshochschul-­Verbund eingeladen.

Im Info-Lastwagen „Discover Industry“ erklärt Peter Hörtz, wie Schüler an einer „intelligenten Produktionsstraße“ im Kleinformat
Im Info-Lastwagen „Discover Industry“ erklärt Peter Hörtz, wie Schüler an einer „intelligenten Produktionsstraße“ im Kleinformat einen Eindruck von den Anforderungen und Möglichkeiten technischer Berufe erhalten. Foto: Robin Rudel

Region. Vor drei Jahren wurde in den Unternehmen über Industrie 4.0 nur geredet, inzwischen haben sie mit der Umsetzung begonnen. Diese Einschätzung von Professor Christoph Zanker vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) belegten die Vorträge von 30 Fachleuten aus Wissenschaft und von namhaften Unternehmen vor etwa 150 Teilnehmern.

Digitalisierung und Vernetzung sind zwar die Schlüsselbegriffe von Industrie 4.0. Neu sei aber nur die Vernetzungsfähigkeit, betonte Professor Frank Piller von der Hochschule Aachen, der unterhaltsam zeigte, welche Vorteile die Vernetzung bringt. Beispiel Schnuller mit Sensor: Er dient weniger dazu, eine emotionale Bindung der Mutter zu ihrem Baby zu schaffen, während sie auf Geschäftsreise ist. Die auf der App gesammelten und ausgewerteten Vitaldaten alarmieren aber die Mutter sieben Minuten bevor das Baby aufwache. Dies verschafft ihr Zeit, um die Milch aufzuwärmen und das Baby schnell wieder zum Einschlafen zu bringen.

Eine Entwicklung rechtzeitig erkennen und reagieren – dieses Prinzip lässt sich auf die Fabrik 4.0 übertragen. Es bedeutet nicht nur, das Ersatzteil rechtzeitig zu bestellen, sondern anhand der Informationen zu erkennen, was die Maschine kaputt macht. Das erhöhe nicht nur die Produktivität, sondern senke die Kosten für die Ausfallversicherung, erklärte Piller.

Beim Heidenheimer Maschinenbauer Voith führt dieser Informationsfluss zu einem neuen, engeren Verhältnis zu den Kunden, legte der kaufmännische Leiter Martin Sieringhaus dar. Durch diesen Datentransfer könne man die Probleme des Kunden besser lösen, außerdem neue Produkte entwickeln, die Umsatz bringen. „Die ersten Pflänzchen von 4.0 sind im Boden“, sagte Sieringhaus.

Eine neue, schnelle Verbindung zum Kunden schafft auch der Dash Button von Amazon. Vielleicht lasse sich das Prinzip dieses Bestell-Knopfs „auf ihre Fabrik übertragen“, gab Professor Piller den Zuhörern als Hausaufgabe mit. Einfach mal die Auszubildenden mit zehn dieser Knöpfe à  4,99 Euro in der Firma experimentieren lassen, empfahl der Betriebswirtschaftler anstelle von „business as usual“.

Beim Maschinenbauer Heller in Nürtingen existiert bereits eine Experimentierplattform für Auszubildende der Generation Wisch-Telefon. Damit will man junge Menschen für Technik begeistern. Werner Kirsten, Leiter der Lehr- und Lernfabrik, schwebt sogar vor, über diese Plattform eine ganze Fabrik „von unten raus“ aufzubauen.

Wie man Nachwuchskräfte in technische Berufe lenkt, das konnten sich die Tagungsteilnehmer vor der Festhalle im doppelstöckigen Info-Truck „Discover Industry“ anschauen. Südwestmetall, Agentur für Arbeit und Baden-Württemberg-Stiftung haben diesen Werbe-Laster auf Tour geschickt.

Welche langfristigen Auswirkungen Industrie 4.0 auf die Arbeitsplätze haben wird, damit befassten sich die Fachleute ebenfalls. Dass sich Personalentwicklung und Unternehmenskultur ändern, das ist unbestritten. Ob Algorithmen jemand das Entscheiden abnehmen oder ob ein Arbeitsplatz durch die Vernetzung aufgewertet wird, ist noch offen. Vermutlich werde es beides geben, so Thomas Köpp vom Verband Südwestmetall.

Nachdem der zweite Thementag Industrie 4.0 auf großes Interesse stieß, ist Koordinator Andreas Beck zuversichtlich, dass die Volkshochschulen Kirchheim, Nürtingen, Göppingen und Esslingen auch nächstes Jahr wieder nach Denkendorf einladen werden.